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Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Rezension aus der Zeit (27. November 1947)

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Es bleiben aber drei Fragen, was die Verpflanzung dieses Spiels vom Funk auf die Bühne betrifft: Wäre es wohl möglich gewesen, gleich zu Anfang den Tod, diesen vollgefressenen, rülpsenden Dämon im Bratenrock, etwas weniger spießerhaft darzustellen und etwas weniger ins Publikum sprechen zu lassen? Mußte es sein, daß die Personifizierung der Elbe diesmal persönlich erschien, sichtbarlich im Gewand des Zaubertheaters? Und mußte auch der »liebe Gott« persönlich kommen, ein alter, wackeliger, greinender Greis mit der Maske eines Schauspielers, der nicht weiß: Soll er den Maler Menzel oder den Zeichner Zille spielen?

Diese Figuren waren für das Hörspiel, für das Spiel der Stimmen gedacht, und vielleicht wäre es möglich gewesen, den »lieben Gott« und die Elbe auch im Theater nur als Stimmen »erscheinen« zu lassen. Kein Zweifel jedenfalls, daß hier die Schwächen nicht nur der Inszenierung, sondern auch der Dichtung selber liegen.

Da ist der Soldat aus Krieg und Gefangenschaft dorthin heimgekehrt, wo er kein Heim mehr findet, elend, verhungert, krank und mit jenem widerlichen Haarschopf, wie ihn die Gefangenen aus russischen Lagern mitbringen müssen; und da schleppt er sich nun – ein junger Mensch voll guten Willens – durch die Mitleidlosigkeit, die Furcht und Verzweiflung, die heute den deutschen Alltag ausmachen; da sieht er den Tod, der die Hungerkranken, die Ausgezehrten frißt, wie er im Krieg die Soldaten fraß; da reißt er sein Herz blutig wund am Dornengestrüpp der Phrasen, das auch heute noch üppig wuchert, zumal wenn die Jugend mit blassen Lehren traktiert wird; und nachdem er vergeblich den Tod in der Elbe gesucht hat, stirbt er »da draußen vor der Tür« derer, denen es besser geht. Kein Wunder, daß er an Gott verzweifeln mußte! Aber es ist ein Unterschied, an einem Gott zu verzweifeln, der hart und grausam-groß ist, härter und grausamer noch als der des Alten Testaments, oder an einem Gott, der zu einem jammernden Greis zusammenschrumpfte. Wenn nicht theologisch oder philosophisch, so sollten sich die jungen Dramatiker dramaturgisch dahingehend beraten lassen, den Gott, an dem sie zweifeln, entweder ganz abzuschaffen oder ihn gewaltig im grausam Geheimnisvollen bestehen zu lassen. Ein kleiner Gott – und das Stück ist in Gefahr, klein zu werden. Einen kleinen Gott dann noch sichtbar zu machen – um so schlimmer.

Im übrigen war die Rede, die Wolfgang Liebeneiner diesem zwischen den Extremen, zwischen Schwarz and Weiß sich bewegenden Stück angedeihen ließ, mit jener seltenen brennenden Elektrizität geladen, die der bohrenden Eindringlichkeit des dichterischen Kunstmittels – nämlich der expressiven Wiederholung ein und derselben Satzwendungen – die denkbar mögliche Intensität der Aussage verlieh. Im Rahmen des Koniarskyschen Bühnenbildes, das sehr glücklich die Grenze zwischen Realität und Überwirklichkeit markierte, verrieten die wechselnden Dialogszenen immer noch die Feinheiten des hier in den Hintergrund tretenden Ensemblespiels.

Käte Pontow ragte hervor, weil sie die exzentrisch angelegte Rolle einer jungen Frau durch ihr natürliches Temperament glaubhaft machte. Übrigens wäre es der Mühe wert, darüber nachzudenken, warum ein junger Autor wie Borchert die Frauen offenbar so betrachtet, wie man sie – lang ist’s her – allgemein zu betrachten pflegte: hauptsächlich als schöne Zierat des Lebens. Scharf, profiliert: Hermann Schomberg als »fetter Tod«, Erwin Geschonneck als frivoler Kabarettdirektor, Gerhard Ritter als Typ jener echten Militaristen, die nicht aufhören, ihre klapprigen Kadettenschulphrasen für Idealismus auszugeben.

Einem Darsteller dieser Bühne hat Borchert, der selbst eine zeitlang Schauspieler war, sein Stück gewidmet: Hans Quest, der in Leid und Anklage, in Lethargie und schäumender Explosion als heimgekehrter Soldat und Zentralfigur des Spiels alle Phasen schauspielerischer Möglichkeiten durchraste. Eine virtuose Leistung und dabei desto eindrucksvoller, als nicht nur sein Können, sondern vor allem sein Herz beteiligt war.



Quelle: Josef Müller-Marein, „Da reißt er sein Herz blutig“, Die Zeit, 27. November 1947.

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