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Bericht der Zentralen Parteikontrollkommission der SED zu Entstehung und Zielen der „Gruppe Harich” (26. März 1957)

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In diesem Zusammenhang machte Harich auch bestimmte Bemerkungen über Veränderungen, die in der Deutschen Demokratischen Republik notwendig seien. So sprach er von Auflösung der unrentablen LPGs, von Förderung des Mittelstandes und Auflösung der Handwerkergenossenschaften, von Dezentralisation der Wirtschaft und des Staatsapparates. [ . . . ]

Auf der Basis der hier von Harich geäußerten Auffassungen entstand eine weitgehende Übereinstimmung mit den Redakteuren Just und Zöger von der Redaktion des »Sonntag«. Besonders Just war der Meinung, daß es unbedingt notwendig sei, eine Analyse der Vergangenheit zu machen, breit über die Fehler der Vergangenheit zu diskutieren, um den Generalfehler zu suchen, der die Ursache für alle anderen Fehler der Partei sei.

Dafür gab Just folgende Begründung: »Die Partei hat bis zum Juni 1953 eine Politik ohne die Massen gemacht. Im Juni 1953 sei diese falsche Politik durch den neuen Kurs korrigiert worden. Für diese Wende der Partei fehle jedoch die theoretische Begründung. Daher arbeite die Partei seit 1953 ohne theoretische Grundlage.«

Da Just außerdem eine breite Liberalisierung forderte, richtete sich sein Verlangen nach einer neuen theoretischen Grundlage, gegen die Lehre von der Diktatur des Proletariats. In Harich sah er denjenigen, der in der Lage und berufen sei, die neue theoretische Begründung, d. h. also, die Revision des Marxismus-Leninismus zu geben. Zöger schloß sich im wesentlichen diesen Auffassungen an.

Den Parteisekretär, Genossen Schubert, gewann Harich auf folgende Weise: In einem persönlichen Gespräch hielt er ihm vor, daß die Kollegen im Aufbau-Verlag gegen ihn sehr skeptisch seien. Die Ursache dafür sei seine Zugehörigkeit und Tätigkeit zur Parteileitung seiner früheren Grundorganisation an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Dort habe er als Mitglied der Parteileitung an dem Ausschluß von zwei Studenten mitgearbeitet, also einen harten Kurs vertreten. Es sei daher besser, wenn er sich im Aufbau-Verlag anders verhalten würde. Da Genosse Schubert, ebenso wie der große Teil der anderen Mitglieder der Parteiorganisation zu dieser Zeit bereits Vorbehalte gegen die Politik der Partei hatte, gelang es Harich, auf diese Weise die Aufweichung des Genossen Schubert zu fördern.

Einige Zeit später trug er dem Genossen Schubert in einem persönlichen Gespräch seine Ansichten vor. Dabei äußerte er als Ausgangspunkt folgende Meinung: »Die Grundlage unserer Politik müßte darin bestehen, daß man die Spaltung Deutschlands nicht vertiefen dürfe. Man dürfe daher den Aufbau des Sozialismus nicht überstürzen.«

Dieses Gespräch fand Ende Juli oder Anfang August statt. Zu diesem Zeitpunkt vertrat also Harich schon die Auffassung, daß der Aufbau des Sozialismus die Spaltung Deutschlands vertieft. Er legte Schubert weiterhin dar, was er im einzelnen für die Politik der Partei vorschlage. In diesen Vorschlägen war wiederum enthalten: Auflösung der unrentablen LPGs, Auflösung der Handwerkergenossenschaften, Förderung des Mittelstandes, Dezentralisierung der Wirtschaft, Abbau des Staatsapparates.

Dabei erwähnte Harich außerdem, daß es notwendig sei, die Parteiführung zu ändern. Mit den Ansichten Harichs war Schubert im wesentlichen einverstanden. [ . . . ]



Quelle: Dierk Hoffman, Karl-Heinz Schmidt, Peter Skyba, Hg., Die DDR vor dem Mauerbau: Dokumente zur Geschichte des anderen deutschen Staates 1949-1961. München: Piper, 1993, S. 268-74.

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