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Stefan Heymann, „Kosmopolitismus und Formalismus” (1. Dezember 1949)

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Die Stellung zur sowjetischen Kunst

Im Jahre 1931 erklärte Stalin: »Keine herrschende Klasse ist je ohne ihre eigene Intelligenz ausgekommen.« Daher hat die Sowjetmacht auch von Anfang an außergewöhnliche Kräfte angewandt, um eine neue Intelligenz zu schaffen, nachdem große Teile der bürgerlichen Intelligenz ins Lager der Feinde übergegangen waren. Allerdings konnte sich die Sowjetmacht dabei auf eine gute fortschrittliche Tradition in der russischen Intelligenz stützen. Nach dem Versagen und der feigen Kapitulation der europäischen Bourgeoisie im Jahre 1848 ging das Banner des Kampfes um bürgerliche Freiheiten auf die fortschrittlichen Kräfte in der russischen Intelligenz über. Herzen, Tschernischewskij, Bogoljubow und andere verkündeten in engster Verbundenheit mit dem unterdrückten Volk die Forderungen der menschlichen Freiheit. Es ist außerordentlich charakteristisch, daß ihre großen Werke, in denen der Kampfgeist echter Demokratie lebendig ist, im kapitalistischen Europa fast unbekannt blieben, während die großen Dichtungen Tolstois, Dostojewskijs, Gorkis gewaltigen Einfluß auf die Entwicklung der Literatur in allen europäischen Ländern ausübten.

Völlig einflußlos und nur Fachkreisen bekannt blieben dagegen die großen russischen Maler jener Epoche – und auch der späteren Jahrzehnte. Auch das ist kein Zufall. Denn die wirklich bedeutenden Maler Rußlands waren tief mit dem Leben des Volkes verbunden, in ihren Werken spiegelt sich der Freiheitskampf der unterdrückten Massen lebendig wider. So blieben sie den bürgerlichen Künstlern anderer Länder unverständlich.

Dieses Unverständnis hat sich auch auf die sowjetischen Maler und Bildhauer übertragen.

Die meisten bildenden Künstler bei uns kennen die Entwicklung der russischen Intelligenz nicht, sie wissen nichts von der wirklichen Volksverbundenheit der fortschrittlichen Kreise der russischen Intelligenz, deren Tradition heute in der sowjetischen Kunst zu neuem Leben erwacht ist. Darum rümpfen sie verächtlich die Nase über die angeblich »naturalistischen« oder »veralteten« Werke sowjetischer Kunst. Daß diese Werke aber aus tiefer Verbundenheit mit dem Volke entstanden sind, daß sie auch nur von diesem Gesichtspunkt aus zu erkennen und zu verstehen sind, das können leider heute nur sehr wenige begreifen. Aber wenn die deutsche Arbeiterklasse aus den gewaltigen Kampferfahrungen der sowjetischen Völker entscheidende Lehren für den eigenen Kampf gewinnen kann und muß, dann gilt dies auch für die bildenden Künstler. Sie müssen die Erfahrungen der russischen Intelligenz im Kampf um die Rechte des Volkes studieren, sie müssen sich insbesondere mit den Problemen der sowjetischen Kunst und den zahlreichen Diskussionen über diese Fragen in der Sowjetunion bekannt machen. Ohne die Kenntnis dieser Entwicklung, ohne die Kenntnis der grundsätzlichen Auseinandersetzungen über künstlerische Fragen in der Sowjetunion und ohne die sinngemäße Anwendung derselben Grundsätze auf die Fragen der bildenden Kunst bei uns wird es unmöglich sein, eine wahrhaft realistische neue Kunst in Deutschland zu entwickeln.

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