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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit des § 175 (1957)

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B.
Zur Verfassungsbeschwerde R….:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

I.
Den ersten Einwand gegen die Geltung der §§ 175, 175 a StGB entnimmt der Beschwerdeführer dem nationalsozialistischen Ursprung dieser Bestimmungen. Er macht geltend, das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935 sei unwirksam, weil es auf der Grundlage des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141), des sogenannten Ermächtigungsgesetzes, von der nationalsozialistischen Reichsregierung ohne die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften erlassen worden sei; ein unter so eklatantem Verstoß gegen demokratische Grundsätze erlassenes Strafgesetz könne in einem demokratischen Staatswesen keinen Bestand haben. Die Verschärfung der Strafbestimmungen gegen die Homosexualität durch das erwähnte Gesetz sei auch sachlich nicht gerechtfertigt gewesen und nur als Ausfluss der nationalsozialistischen Rassenlehre verständlich; die neuen Bestimmungen enthielten in so hohem Maße nationalsozialistisches Gedankengut, dass sie in einer freien Demokratie nicht mehr angewandt werden dürften.

Dieser Einwand ist unbegründet.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits wiederholt Gesetze und Verordnungen, die auf Grund des Ermächtigungsgesetzes von der nationalsozialistischen Reichsregierung erlassen worden waren, angewendet und dadurch zu erkennen gegeben, dass es sie nicht schon aus diesem Grunde für nichtig hält. [ . . . ]

2. Es muss also bei Gesetzen und Verordnungen, die auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes erlassen worden sind, geprüft werden, ob sie nicht ihres Inhalts wegen unanwendbar geworden sind.

[ . . . ]

Es ist also festzuhalten: von 1945 bis zum Zusammentritt des Bundestages herrschte in den westlichen Besatzungszonen so gut wie einhellig die Meinung, die §§ 175 und 175 a StGB seien nicht in dem Maße „nationalsozialistisch geprägtes Recht“, dass ihnen in einem freiheitlich demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse.

[ . . . ]

II.

[ . . . ]

Die Vereinbarkeit der §§ 175, 175 a Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz bestreitet der Beschwerdeführer in erster Linie unter Hinweis auf Art. 3 GG. [ . . . ]

Der in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ausgesprochene Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen werde durch die §§ 175, 175 a StGB verletzt, weil zwar gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern bestraft werden, nicht aber auch solche zwischen Frauen. § 175 a Nr. 3 StGB sei außerdem mit dem speziellen Gleichheitssatz deshalb unvereinbar, weil das Schutzalter für jugendliche Männer gegen Verführung zu gleichgeschlechtlicher Unzucht auf 21 Jahre festgesetzt sei, während das Schutzalter für Mädchen gegen Verführung zum Beischlaf nach § 182 StGB nur 16 Jahre betrage.

Es fehle ferner schlechthin jeder zureichende sachliche Grund dafür, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu bestrafen, falls nicht besondere Erschwerungsgründe hinzutreten, denn durch gleichgeschlechtliche Beziehungen als solche werde ein öffentliches Interesse nicht verletzt. Die Bestrafung der männlichen Homosexualität sei also willkürlich und verstoße dadurch auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

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