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Walther von Hollander, Frauenfragen – Frauensorgen (1946)

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Vierter Brief: Ich bin weder häßlich noch hübsch, und da ich mir ausgerechnet habe, daß jetzt auf hundertundfünfzig Frauen ungefähr hundert Männer kommen, habe ich gleich von vornherein verzichtet. Das ist mir nicht weiter schwergefallen. Denn was ich an Ehen aus meinem Bekanntenkreis sehe, ist nicht gerade so, daß man sich ein Bein danach ausreißen müßte, verheiratet zu sein. Und die Männer, wie sie im allgemeinen sind ... nein danke! Ich will also studieren. Medizin zieht mich ungeheuer an. Aber auch da wird es sehr schwierig werden. Die Männer wollen nicht, daß Frauen Medizin studieren. Am liebsten hätten sie, daß man das Frauenstudium überhaupt verböte. Ich soll also weder einen Mann haben, noch, wenn es nach den Männern ginge, einen Beruf. Das ist doch wirklich ungerecht [ . . . ]

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Ich könnte eine Stunde lang weiter zitieren und damit eine unübersehbare Fülle von Frauenporträts und Frauenschicksalen vor Sie hinstellen. Frauen, die für sich um die Herzen der Männer kämpfen, Frauen, die um die Männer kämpfen, um durch sie die Welt zu erringen, Frauen, die resigniert haben, und vor allem Frauen, die erbittert das Schicksal anklagen, das ihnen ihrer Ansicht nach von den Männern bereitet worden ist. Dazu Frauen, die sich entschlossen haben, von nun an den fraulichen Einfluß auf die Weltgeschichte zu verstärken und durch die Gründung von Frauenvereinen und Frauenparteien eine Macht zu gewinnen, die es ermöglicht, die Welt vor den verderblichen, einseitigen Männerentschlüssen zu bewahren.

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Und die Frauen, die ihre Männer verloren haben und nicht vergessen können, die Frauen, die auf die Vermißten warten und denen das Leben scheinbar sinnlos verrinnt? – Es werden viele Frauen allein sein und bleiben. Viele Herzen werden Totenwache halten an unbekannten Gräbern, vor Trümmern und an schauerlichen Richtstätten. Unendlich ist die Zahl der Opfer und sehr groß die Menge derer, die ehrlich betrauert werden! Die Frauen werden allein sein, und niemand kann sie von diesem Fluche erlösen. Sie müssen sich in diesem Alleinsein häuslich einrichten, und es ist ein unwirtliches Haus. Und viele werden noch dazu um eine verlorene Heimat trauern müssen, durch Erinnerungen ärmer gemacht als die, die nie etwas besaßen. Eine große Welle der Trauer und des Alleinseins wird über die Welt gehen. Das einzige, was man diesen Frauen zum Troste sagen kann, ist, daß sie ihr Schicksal zu verstehen suchen sollten als Beispiel, das vielen Frauen gegeben werden müßte. Als Beispiel nämlich, daß Frauen, allen männlichen Meinungen zum Trotz, doch allein zu stehen und zu leben vermögen und aus ihrem Leben dennoch etwas machen können. Das wird nicht ohne Tränen und ohne Schmerzen gehen. Aber was dabei herauskommen könnte, wäre etwas sehr Schönes. Nämlich der erste Ansatz zu einer wirklichen Selbständigkeit der Frau, der Beweis, daß die Frau auch ohne den Mann ein in sich geschlossenes Wesen ist, genauso wie ein Mann auch ohne Frau ein in sich geschlossenes Dasein führen kann.

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Quelle: Walther von Hollander, Nordwestdeutsche Hefte, 1946, H. 2, S. 21 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung: Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986, S. 367-69.

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