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DDR-Justizministerin Hilde Benjamin: „Wer bestimmt in der Familie?” (1. Februar 1958)

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Eine solche „reinliche“ Scheidung aber ist nur dann möglich, wenn die Frau nach der Scheidung nicht materiell vom Mann abhängig bleibt, sondern sich ihren Unterhalt selbst verdienen kann. Wir dürfen auch nicht daran vorbeigehen, dass eine Belastung des Mannes, im besonderen wenn er eine neue Familie gegründet hat, mit Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau sein Interesse an der Arbeit und damit seine aktive Teilnahme am Aufbau des Sozialismus beeinträchtigen kann, so dass wir auch von dieser Seite her die Frage genau prüfen müssen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine geschiedene Frau einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann haben soll.

Wir haben deshalb als rechtlichen Grundsatz aufgestellt: Mit der Scheidung einer Ehe sind auch alle materiellen Beziehungen zwischen den Ehegatten gelöst. Damit eine Frau, die bisher oder während ihrer Ehe nicht berufstätig gewesen ist, sich ihre wirtschaftliche Selbständigkeit verschaffen kann, zum Beispiel noch eine Berufsausbildung erwerben, kann für die Dauer von 2 Jahren eine Unterhaltspflicht des Mannes festgelegt werden.

Wir dürfen jedoch nicht daran vorbeigehen, dass mit dieser Grundregel nicht alle Fragen, die unter unseren heutigen Bedingungen die Scheidung einer Ehe in bezug auf den Unterhalt einer geschiedenen Frau aufwirft, gelöst sind. Wir müssen die Widersprüche sehen, die auch hier noch vorhanden sind und müssen versuchen, sie durch eine elastische gesetzliche Regelung zu lösen. Soll die Frau, die bisher keinen Beruf ausgeübt hat und die auch keinen Beruf mehr erlernen oder keinen Beruf mehr ausüben kann, einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann haben ist sehr verwandt mit der Frage, inwieweit eine solche Frau an dem Erwerb des Mannes beteiligt sein soll. Wir haben deshalb von dieser Grundregel eine Ausnahme zugelassen: Wo die Frau wegen ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes oder weil sie kleine Kinder zu versorgen hat, nicht wirtschaftlich selbständig werden kann, ist der Mann verpflichtet, auch über zwei Jahre hinaus Unterhalt zu gewähren.

Ich möchte hier noch auf ein Problem eingehen, das die Frauen bei uns sehr beschäftigt hat. Ich meine die Erscheinung, dass in einer Reihe von Fällen Männer nach jahrzehntelanger Ehe unter fadenscheinigen Vorwänden Scheidung von ihrer gealterten Frau verlangen. Man behauptet besonders gern, die Frau sei ideologisch nicht mitgewachsen, sie hemme durch ihre Zurückgebliebenheit die Entwicklung des Mannes. Diese Missachtung der Frau, die jahrzehntelang ihrem Mann zur Seite gestanden hat, die sich in der langjährigen Sorge um Haushalt und Erziehung der Kinder verbraucht hat, die nicht mehr in der Lage ist, ihre ihr heute gegebene Gleichberechtigung zu nutzen und ein selbständiger Mensch zu werden, bedeutet eine schwere Verletzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Frau. Das Oberste Gericht hat in einer Richtlinie ausgesprochen, dass die Voraussetzungen dafür, ob eine solche langjährige Ehe zu scheiden ist, besonders streng zu prüfen sind, und dass in der Regel davon auszugehen ist, dass solche alten Ehen nur bei außerordentlich schwerwiegenden Gründen geschieden werden können.

Wenn sich die Gleichberechtigung der Frau in der Familie darin zeigt, dass sie in allen Familienangelegenheiten mit gleichem Gewicht wie der Mann mitzubestimmen hat, so gilt das vor allem auch bei den für eine Frau ja besonders wichtigen Fragen, wie die Kinder zu erziehen und zu versorgen sind. Das war bekanntlich nicht immer so; das Bürgerliche Gesetzbuch gab auch in diesen Fragen dem Manne das letzte Entscheidungsrecht. Die im Bürgerlichen Gesetzbuch erwähnte „elterliche Gewalt“ über minderjährige Kinder war in Wahrheit eine väterliche Gewalt. Wir haben nicht nur aus der elterlichen „Gewalt“ die elterliche Sorge gemacht, sondern vor allem die Beziehungen zu den Kindern, diese „elterliche Sorge“, zu Beziehungen gemacht, in der beide Elternteile wirklich gleiche Rechte haben.

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