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Auszüge aus dem Staats-Lexikon: „Familie, Familienrecht” (1845-1848)

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Das Verhältniß zwischen Dienstherren und Dienstgesinde, von welchem, als einem zur Familie mit gehörigen, wir hier zu sprechen haben, ist keineswegs das gemeine Contractsverhältniß zwischen Einem, welcher Dienste verlangt, und dem Andern, der dieselben gegen Bezahlung (überhaupt Vergütung) leistet, und dessen Inhalt durch die Formel: „do, ut facias" oder „facio, ut des" ausgedrückt wird; sondern es unterscheidet sich davon zumal durch zwei eigenthümliche und wesentliche Charaktere. Einmal nehmlich ist das Dienstgesinde gegen den Herrn nicht blos zu bestimmten (oder auch unbestimmten) Arbeiten oder Verrichtungen, wie ein gemeiner Lohnarbeiter oder Dienstleistender, verbunden, sondern es hat sich zugleich zum Gehorsam verpflichtet, ist also gegenüber dem Herrn in eine untergeordnete Stellung getreten und hat einen Theil seiner Persönlichkeit demselben hingegeben. Solcher Gehorsam oder solche Unterwürfigkeit ist zur Erhaltung der Hausordnung, also des ungestörten Familienlebens, unumgänglich nothwendig und daher ein sich von selbst verstehender (also, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend bedungener) Artikel des in Sprache stehenden Vertrags. Es kommt dazu, daß viele Dienstboten, wenn sie eintreten, noch minderjährig sind und, weil jetzt von den Eltern getrennt, durch den Eintritt in den Dienst gewissermaßen in die väterliche (hausväterliche) Gewalt der Dienstherren übergehen. In dem einfachen, naturgemäßen Zustand wird aus solchem Verhältniß sich leicht auch das einer Art von Gesellschaft entwickeln, insofern nehmlich das Gesinde in vertraulichere Berührung mit den Dienstherren kommt, etwa auch einen Theil des gemeinschaftlichen Erwerbs an Lohnes Statt angewiesen erhält, oder dem eigentlichen Familienkreis durch Verehelichung mit den Töchtern oder Söhnen der Dienstherrschaft einverleibt wird. Ihr Verhältniß zum Familienhaupt ist alsdann jenem der erwachsenen Kinder selbst ähnlich, kann jedoch nicht im Allgemeinen bestimmt werden, sondern hängt von besonderer, ausdrücklicher oder stillschweigender, Vertragsbestimmung, zumal auch von der hier oder dort jeweils herrschenden Sitte oder Gewohnheit (welcher nehmlich die nichts Anderes Festsetzenden sich stillschweigend unterwerfen) ab. Jedenfalls wird, wenn auch wirklich einige gesellschaftliche Rechte dem Gesinde eingeräumt werden, dasselbe gleichwohl, so wie die Kinder, der patriarchalischen Obergewalt des Familienhauptes unterworfen bleiben.

Die zweite Eigenthümlichkeit dieses Dienstbarkeitsverhältnisses ist, daß es, eben wegen der Unterwürfigkeitspflicht und dann auch wegen der Zusammenwohnung, eine Art von dinglichem (d. h. dinglich-persönlichem) Recht des Dienstherrn, verbunden mit einem wirklichen Besitzrecht, begründet, ein Recht, welches zwar die Persönlichkeit des Dienenden in Allem, was jenseits der Sphäre der eben bemerkten Verpflichtung liegt, unangetastet läßt, innerhalb solcher Sphäre aber, und zumal gegen Fremde, sich als ein dem Eigenthum ähnliches äußert. Der Dienstherr nehmlich kann für die vertragsmäßig festgesetzte Zeit das Verbleiben des Gesindes in seinem Dienst und in seinem Hause selbst erzwingen und er schließt mittelst dieses seines Allen erkennbar vorliegenden Rechtes diese Alle dergestalt aus, daß, so lange das bemerkte Verhältniß währt, Keiner solches Gesinde verlocken oder in den eigenen Dienst nehmen, oder an der Dienstleistung, wie immer, hindern darf. Thut Einer es gleichwohl, so hat er den Dienstherrn wirklich beleidigt, d. h. dessen dingliches Recht verletzt, und, was er gethan, ist rechtlich ungültig.

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Quelle: Carl von Rotteck und Carl Welcker, Hg., Das Staats-Lexikon: Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, zweite neubearbeitete und vermehrte Auflage. Altona: Verlag von Johann Friedrich Hammerich, 1845-48, Bd. 4, S. 592-95, 598-99, 601, 606.

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