GHDI logo

„Die Ausländischen Arbeitskräfte und Wir”, Frankfurter Allgemeine Zeitung (3. Juni 1961)

Seite 6 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Anwerbestellen fehlen

Die Deutschen Kommissionen im Ausland sind viel gescholten worden. Den einen arbeiten sie viel zu langsam, wobei übersehen wird, daß der eigentliche Hemmschuh im Gestrüpp der ausländischen Arbeitsverwaltungen liegt. Den anderen arbeiten sie zu schnell, zu flüchtig und summarisch. Dabei hat noch kein Kritiker das Rezept mitgeliefert, wie man die unterkunftslose Menschenfracht eines Transportzuges „abfertigen“ soll. Wer je mit Personalorganisation im großen Stil zu tun gehabt hat, wird diesen Kommissionen die Achtung nicht versagen. Wenn die Klagen trotzdem nicht abreißen, wenn die Flut der Arbeitswilligen noch immer von allen Seiten her unregistriert über die Grenzen drängt, dann liegt es am System selbst, das sowohl der Verfeinerung, wie der Verdichtung, als auch der Ergänzung durch die Privat-Initiative bedarf.

Zu wünschen wäre eine Vermehrung der Anwerbestellen. Zum zweiten wäre an die Errichtung von Auffanglagern an den Hauptgrenzpunkten zu denken, auch im Interesse unseres bereits belasteten freundschaftlichen Verhältnisses zu den Transitländern. In Salzburg etwa hat es schon der Ärgernisse genug gegeben. Selbstverständlich müßten solche Auffangstellen organisatorisch und hygienisch einwandfrei sein, versehen mit einem ausreichenden Dolmetscherstab und ausgestattet mit einem leistungsfähigen Fernsprech- und Fernschreibe-Apparat. Auch für die Wirtschaft wäre es nützlicher, an solchen Sammelstellen geschulte Sachbearbeiter zu unterhalten als fallweise einen eiligen Beauftragten mit bisweilen völlig abwegigen Vorstellungen und Wünschen ins Ausland zu entsenden, wo sie den Deutschen Kommissionen das Leben nicht gerade erleichtern.

Nicht zu viel kommandieren

Damit berühren wir nicht nur ein organisatorisches, sondern ein grundsätzliches, Problem, das die hierzulande so wenig bekannte Mentalität der mediterranen Länder betrifft: Der Südländer ist im Prinzip – sagen wir es gelinde – behördenscheu. Er hat ein tiefes Misstrauen gegen den heimatlichen staatlichen Apparat. Er hält es beinahe für geboten, ihn zu umgehen. Somit muß der Mann aus Kalabrien und Apulien nicht etwas „ausgefressen“ haben, wenn er als Schwarzgänger an unseren Grenzen landet. Der bayerische Innenminister hat unlängst unter dem Ansturm der Klagen aus dem Grenzbereich „Abhilfe in unverschuldeten Härtefällen“ zugesagt. Das ist dankenswert. Aber darum handelt es sich gar nicht. Sondern es handelt sich um die magische Anziehung unseres seltsamen „Wunderlandes“ auf Völkerschichten, die zum Teil noch selbst im magischen Wunschdenken leben und für die die behördliche Reglementierung zunächst etwas Unbegreifliches ist.

Alle Mittelmeerländer haben eine lange, über Generationen reichende Auswanderungstradition. Aus Italien wanderten 1920 rund 211 000. Personen aus, aus Spanien 150 000. Ganz ohne Papiere, Behördenstempel, Gesundheitszeugnisse, sind sie bestimmt nicht nach Amerika, nach Kanada, Brasilien, Argentinien gelangt. Freilich, die Herren Capone und Konsorten waren auch darunter. Aber ihresgleichen haben sich noch immer jeden Stempel zu verschaffen gewußt. Die große Überzahl der Redlichen und Fleißigen ist offenbar in dieser grauen Vorzeit ohne staatliche Gängelei zu ihrem Ziel gelangt, mag es uns auch unvorstellbar dünken. Selbst, wo es mit dem Lesen und Schreiben hapert, sind die Leute aus dem Süden hell, findig und anstellig. Allerdings können sie – im Gegensatz zu uns – eines auf den Tod nicht ausstehen: dauernd kommandiert zu werden.



Quelle: L. Kroeber-Keneth, “Die ausländischen Arbeitskräfte und wir,” Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juni 1961, S. 5. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite