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„Die Ausländischen Arbeitskräfte und Wir”, Frankfurter Allgemeine Zeitung (3. Juni 1961)

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Gastarbeiter – eine neue Bezeichnung für die Fremden

Auch der Begriff Gastarbeiter klingt noch fremd und ist auch nicht ohne inneren Widerspruch: Gemeinhin erwartet man vom Gast nicht, daß er beim Gastgeber arbeitet, bei ihm Geld verdient und es zum Teil auch wieder ausgibt. Auch ist der „Gast“ im eigentlichen Sinne nicht darauf bedacht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen, womit er zum Schrecken der „angestammten Dienstleute“ wird. Die Gastfreundschaft alten Stils stand unter dem hohen Schutz des Jupiter Hospitalis und beruhte auf einem bargeldlosen Patronatsverhältnis. Seither freilich hat die Geldwirtschaft Fortschritte gemacht. Ob der Ausdruck „Gastarbeiter“ Wurzeln schlägt, kann nur die Zukunft zeigen. Erzwingen lässt er sich nicht. Auf jeden Fall aber wäre er erfreulicher und handlicher als „ausländische Arbeitskräfte“, ganz zu schweigen von der vorbelasteten und irreführenden Bezeichnung „Fremdarbeiter“. Wozu dieser Terminus verleiten kann, belege der Auszug aus dem Vertrag, den eine Firma im hessischen Raum ihren italienischen Arbeitern vorzulegen beliebt hat: „Der Fremdarbeiter hat sich so zu verhalten, daß niemand von ihm belästigt wird; er hat auch Beleidigungen zu unterlassen. Bei nachlässiger Arbeit kann der Arbeitgeber die sofortige Entlassung des Fremdarbeiters vornehmen…“ Freunde, nicht diese allzu vertrauten Töne! Könnte man dem „Gastarbeiter“ ein dergestaltes Schriftstück anbieten? Vielleicht doch nicht ganz so leicht. Jedenfalls ist es nicht gleichgültig, unter welcher Bezeichnung, und das will besagen, unter welchem Gesichtswinkel, wir uns mit dem ausländischen Arbeiter auseinandersetzen.

Der Goodwill der Rückkehrer

Vor dem Ersten Weltkrieg kamen im Jahresmittel rund 750 000 Wanderarbeiter über die Grenzen des Reiches. Also viel mehr als heute. Hier arbeiteten sie unter halbkolonialen, das heißt schandbaren Bedingungen. Es verdient auch Erinnerung, daß bereits 1907 dreißig Betreuungsstellen der Caritas bestanden; heute sind es ebensoviel. Dessenungeachtet waren die berüchtigten „Schnitterkasernen“ eine feststehende, unausrottbare Institution. Für die italienischen Ziegeleiarbeiter im Süden des Reiches galten Schlafstätten in den gut durchgewärmten Ziegelstadeln geradezu als Nobelquartier. Hier wird greifbar, wie sich die Dinge gewandelt haben. Weder uns noch den Heimatländern ist es gleichgültig, in welcher Stimmung und Verfassung der Gastarbeiter von uns scheidet, schon aus einem gern übergangenen Punkt: Die politische und soziale Ordnung aller mediterraner Staaten ist labiler und anfälliger als man wahrhaben will. Der gebildete Grieche, dem politischen Gespräch von alters her mit Lust zugetan, macht aus seiner Besorgnis keinen Hehl: Wie werden sich die Rückkehrer wieder zurechtfinden, wenn sie einmal die letzte Bindung an ihr Dorf, an die Großfamilie und die traditionelle Armut verloren haben? Werden sie nicht den gärenden Untergrund in Athen, im Piräus, in Saloniki nähren? Spanien schwankt zwischen ähnlichen Sorgen und Italien könnte noch in diesem Jahr unversehens zum politischen Sorgenkind Europas werden. Der Corriere della Sera hat es erst unlängst als „Alarmruf“ kundgemacht. Über eines sei man sich im klaren: Wer vom „Goldenen Westen“ enttäuscht in seine Heimat zurückkehrt, wendet den Blick – nach dem Osten. Man sollte dieses politische Ferment in Ländern mit einer anfälligen sozialen Struktur nicht unterschätzen.

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