GHDI logo

Ein Skeptiker betrachtet die Hexenverfolgung eingehender – Friedrich von Spee (1631)

Seite 11 von 11    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


36. Hat sich also erst einmal eine Angeklagte, von der Gewalt der Schmerzen getrieben, fälschlich beschuldigt, so richtet das unsagbares Unheil an, denn fast niemals gibt es ein Mittel, zu entkommen. Sie wird gezwungen werden, noch andere, von denen sie gar nichts weiß, zu beschuldigen, deren Namen ihr nicht selten die Verhörrichter in den Mund legen, der Henker ihr einbläst, oder solche, von denen es schon vorher bekannt war, daß sie verschrieen, denunziert oder bereits einmal gefangen und wieder losgelassen worden seien. Die müssen dann wieder andere, und diese ebenfalls andere anzeigen, und so immer fort. Wer sieht nicht, daß das unendlich weitergehen muß?

37. Darum bleibt den Richtern selbst gar nichts anderes übrig, als die Prozesse abzubrechen und ihr eigenes Verfahren zu verurteilen, sonst müssen sie schließlich auch ihre eigenen Angehörigen, sich selbst und alle Welt verbrennen lassen. Denn zuletzt werden die falschen Denunziationen jeden erreichen, und wenn ihnen nur die Tortur nachfolgt, dann wird sie ihn als Missetäter erweisen.

38. So werden am Ende auch diejenigen mit hineingerissen, die am meisten geschrien haben, man solle die Scheiterhaufen ständig schüren. Die Toren haben es ja nicht vorausgesehen, daß notwendig auch an sie selbst die Reihe kommen wird. Sie freilich trifft es als gerechtes Urteil Gottes, weil sie mit ihren giftigen Zungen uns soviel Zauberer geschaffen und damit soviel Unschuldige zum Scheiterhaufen verdammt haben.

39. Viele von den Besonneneren und Aufgeklärteren beginnen das freilich schon einzusehen, wie aus einem tiefen Schlaf erweckt die Augen zu öffnen und ihre Wut zu dämpfen und zu zügeln.

40. Es ist auch nichts daran, wenn die Richter bestreiten, daß sie auf bloße Denunziationen hin zur Tortur schritten. Ich habe ja oben nachgewiesen, daß sie es tatsächlich tun und also mit ihrem Bestreiten ihre vortrefflichen Fürsten irreführen. Denn auch das Gerücht, das sie in der Regel zu den Denunziationen hinzunehmen, ist stets wertlos und nichtig, da es niemals gesetzmäßig bewiesen wird. Und was sie von den Hexenmalen faseln, so wundert es mich, daß die Scharfsinnigen noch nicht bemerkt haben, wie sie fast stets nur eine Täuschung der Henkersknechte sind.

41. Unterdessen aber, während die Prozesse mit solchem Feuereifer betrieben werden und die Gefolterten, von den grausamsten Martern gezwungen, unermüdlich neue denunzieren, sickert es durch, wie dieser und jener denunziert worden ist. So hüten diejenigen, die dem Verhör beiwohnen, das Geheimnis. Und das hat auch seinen Vorteil, da man dadurch sogleich Indizien gegen die Denunzierten bekommen kann, auf Grund folgenden Dilemmas: Erfährt nämlich, was natürlich geschieht, jemand, er sei denunziert, so entzieht er sich entweder der Festnahme durch die Flucht, oder er bleibt getrost da. Ergreift er die Flucht, so erklären sie sogleich, das sei ein außerordentlich starkes Indiz dafür, daß er schuldig sei, ein schlechtes Gewissen habe. Bleibt er indessen da, so ist auch das ein Indiz; der Teufel, sagen sie, hält ihn fest, daß er nicht fort kann. Das habe ich zu, meinem Bedauern mehr als einmal in der letzten Zeit hören müssen.

42. Geht überdies jemand zu den Verhörrichtern und erkundigt sich, ob es wahr sei, daß er verschrieen sei, um sich beizeiten zu verteidigen und auf gerichtlichem Wege dem drohenden Unheil entgegenzutreten, so gilt auch dies schon als Indiz, als ob sein böses Gewissen und seine Schuld ihn trieben, gegen den doch von den Inquisitoren noch gar nichts unternommen worden war.

43. Was er aber auch tun mag, er heftet das Gerücht an seine Fersen. Nach ein bis zwei Jahren ist es groß genug geworden und kann in Verbindung mit Denunziationen zur Tortur hinreichend sein, mag es auch selbst zunächst aus Denunziationen entstanden sein. Auch derartige Fälle habe ich gesehen.

44. Ganz ähnlich geht es jedem, der von irgendeinem Böswilligen verleumdet wird. Denn er wird sich entweder gerichtlich zur Wehr setzen, oder er wird sich nicht wehren. Tut er es nicht, so ist das ein Schuldindiz, daß er stille schweigt. Setzt er sich jedoch zur Wehr, so wird die Verleumdung noch weiter herumgetragen, es wird bei Leuten, die vorher gar nichts davon wußten, Verdacht und Neugier erregt, und bald greift das Gerücht dermaßen um sich, daß es sich hernach gar nicht unterdrücken läßt.

45. So liegt nichts näher, als daß diejenigen, die unterdes gefoltert und gezwungen werden, jemanden anzuzeigen, unbedenklich auch solche zu nennen pflegen, denen es in dieser Weise gegangen ist.

46. Daraus ist denn auch ein Ergebnis abzuleiten, das man rot anstreichen sollte: Wenn nur die Prozesse unablässig und eifrig betrieben werden, dann ist heute niemand, gleich welchen Geschlechtes, in welcher Vermögenslage, Stellung und Würde er sei, mehr sicher genug, sofern er nur einen verleumderischen Feind hat, der ihn verdächtigt und in den Ruf bringt, ein Zauberer zu sein. So steuern wahrhaftig, wohin ich mich nur wende, die Verhältnisse auf ein entsetzliches Unglück hinaus, sofern nicht anderweit Vorsorge getroffen wird. Ich habe es schon oben gesagt und wiederhole es hier ganz kurz: Mit Feuerbränden kann man diese Hexenplage, was es mit ihr auch auf sich haben mag, nicht vertilgen, wohl aber auf eine andere Weise, fast ganz ohne Blutvergießen und mit dem nachhaltigsten Erfolge. Aber wer will davon erfahren? Ich hatte noch mehr sagen wollen, aber der Schmerz übermannt mich, sodaß ich diese zusammenfassende Übersicht nicht sorgfältig und vollständig zu Ende führen noch, was sonst recht nutzbringend sein würde, eine deutsche Übersetzung ins Auge fassen kann. Vielleicht werden einmal Männer kommen, die dem Vaterland und der Unschuld zuliebe das Werk ganz vollenden. Um dies eine endlich beschwöre ich alle gebildeten, frommen, klugen und besonnenen Beurteiler (denn die übrigen sind mir gleichgültig) um des Gerichts des allmächtigen Richters willen, daß sie das, was wir in diesem Buche niedergeschrieben haben, recht aufmerksam studieren und bedenken. Das Seelenheil aller Obrigkeiten und Fürsten ist in großer Gefahr, wenn sie nicht sehr aufmerksam sein wollen. Sie mögen sich nicht wundern, wenn ich sie zuweilen heftig und leidenschaftlich ermahne; es gebührt mir nicht, unter denen zu sein, die der Prophet stumme Hunde heißt, die nicht zu bellen wissen. Sie mögen auf sich und ihre ganze Herde achtgeben, die GOTT einstmals strenge aus ihrer Hand zurückfordern wird.



Quelle der deutschen Übersetzung (aus dem Lateinischen): Friedrich von Spee, Cautio Criminalis, oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Deutsche Ausgabe von Joachim Friedrich Ritter. Weimar: Verlag Herm. Böhlaus Nachf., 1939, S. 256-89.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite