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Karl Hauff: Denkschrift über die Lage der vom Naziregime politisch, rassisch und religiös Verfolgten (1947)

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Es wäre ein Akt der Selbstverständlichkeit und Gerechtigkeit, wenn durch Gesetz verfügt würde, dass

1. Unterstützung an politisch, rassisch und religiös Verfolgte und deren Hinterbliebenen keine Wohlfahrts- bzw. Fürsorgeunterstützung ist.
2. die gewährte Unterstützung an Angehörige auch während der Haftzeit oder Emigration nicht zur Rückzahlung verpflichtet.
3. die Gewährung von Unterstützung, sofern sonst kein Einkommen vorhanden ist, nicht den Bestimmungen des Wohlfahrtsamtes hinsichtlich der Bedürftigkeit unterliegt.

Aus staatlichen Mitteln konnte nur eine verhältnismässig geringe Zahl durch das Amt für Wiedergutmachung unterstützt werden. Ein grosser Teil, davon viele langjährig Inhaftierte, die meistens bescheiden im Hintergrund stehen, sind bis jetzt leer ausgegangen. Es besteht die dringende Notwendigkeit, dass grössere Mittel zur Verfügung gestellt werden, die bei der endgültigen Wiedergutmachung in Anrechnung gebracht werden können.
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In verschiedenen deutschen Ländern (auch in der amerikanischen Zone) wurden steuerfreie Beträge gewährt und es wäre auch in Württemberg-Baden ein Akt der Gerechtigkeit und ein Teil der Wiedergutmachung, wenn den vom Naziregime Verfolgten, die hinsichtlich der indirekten Steuern schon genug an erhöhten Lasten tragen müssen, ein steuerfreier Betrag eingeräumt würde.

Es gibt heute noch politisch, rassisch und religiös Verfolgte, die in schlechten Wohnungsverhältnissen leben (in Stuttgart sind noch ca. 200 ohne Wohnung). Auch an Möbeln und sonstigen Gegenständen des täglichen Lebens besteht grosser Mangel.

In der Beschaffung von Arbeit für die politisch Verfolgten des Naziregimes sind sehr grosse Widerstände zu verzeichnen. Während man alles versucht, Pgs wieder in gute Positionen zu bringen, gibt es noch ehemalige politische Häftlinge mit über 10 Jahren Haftzeit, die noch keine Arbeit haben oder denen man die schlechteste Arbeit zuweist. [ . . . ]

Die gesundheitliche Betreuung der Verfolgten des Naziregimes wurde von der Süddeutschen Ärzte- und Sanitätshilfe übernommen. In den von dieser Organisation geschaffenen Erholungsheimen war es möglich, durch Lieferungen von zusätzlichen Lebensmitteln und Medikamenten aus der Schweiz, bei vielen die zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen.

Schon seit längerer Zeit wurde eine allgemeine Regelung der Betreuung durch den Staat erwartet. Das nun veröffentlichte Gesetz Nr. 133 über Bildung und vorläufige Verwendung eines Sonderfonds zum Zwecke der Wiedergutmachung hat den Erwartungen nicht entsprochen. Zu begrüssen ist, dass das Gesetz die Möglichkeit bietet, die Betreuung und Unterstützung der vom Naziregime politisch Verfolgten aus der allgemeinen Wohlfahrt herauszulösen. Die Leistungen aus dem Gesetz können aber nur teilweise als befriedigend angesehen werden.
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Es dürfte wohl für alle Einsichtigen eine Selbstverständlichkeit sein, dass es die moralische Pflicht des Staates ist, die gesamte Betreuung zu übernehmen. In anderen deutschen Ländern, in der amerikanischen Zone, auch in Bayern und Hessen, ist das bereits geschehen.

Der hessische Ministerpräsident erklärte in seiner Regierungserklärung u.a.: „Die Wiedergutmachung an den politisch, rassisch und religiös Verfolgten sei für die hessische Regierung eine Ehrenfrage.“

Es ist keine Unbilligkeit, wenn auch in Württemberg-Baden eine staatliche Regelung gefordert wird, die den vom Naziregime Verfolgten Rechnung trägt. Sie haben für die Freiheit gekämpft, indem sie versuchten, das deutsche Volk vor dem heutigen Elend zu bewahren, und nur ein solches Volk verdient die Freiheit, das diejenigen achtet, welche ihr Leben für die Freiheit einsetzten.

Landesausschuss Württemberg-Baden
der vom Naziregime politisch Verfolgten
gez. Hauff.



Quelle: HStA Stuttgart, EA 1/90 Bü. 725, Umdruck; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 126, S. 278-80.

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