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Karl Binding und Alfred Hoche, „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens” (1920)

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Und so wäre heute zu fragen: wem gegenüber darf und soll diese Tötung freigegeben werden? Ich würde meinen, zunächst den Angehörigen, die ihn zu pflegen haben, und deren Leben durch das Dasein des Armen dauernd so schwer belastet wird, auch wenn der Pflegling in eine Idiotenanstalt Aufnahme gefunden hat, dann auch ihren Vormündern – falls die einen oder die anderen die Freigabe beantragen.

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Die Personen also, die für die Freigabe ihrer Tötung allein in Betracht kommen, sind stets nur die unrettbar Kranken, und zu der Unrettbarkeit gesellt sich stets das Verlangen des Todes oder die Einwilligung, oder sie würde sich dazu gesellen, wenn der Kranke nicht in dem kritischen Zeitpunkt der Bewußtlosigkeit verfallen wäre oder wenn der Kranke je zum Bewußtsein seines Zustandes hätte gelangen können.

Wie schon oben ausgeführt, ist jede Freigabe der Tötung mit Brechung des Lebenswillens des zu Tötenden oder des Getöteten ausgeschlossen.

Ebenso ausgeschlossen ist die Freigabe der Tötung an Jedermann – ich will einmal den furchtbaren Ausdruck einer proscriptio bona mente gebrauchen.

Wie die Selbsttötung nur einer einzigen Person freigegeben ist, so kann die Tötung Unrettbarer nur solchen freigegeben werden, die sie nach Lage der Dinge zu retten berufen wären, deren Mitleidstat deshalb das Verständnis aller richtig empfindenden Menschen finden wird.

Den Kreis dieser Personen gesetzlich bestimmt zu umgrenzen, ist untunlich. Ob der Antragsteller und der Vollstrecker der Freigabe im einzelnen Falle dazu gehörten, kann nur für jeden Einzelfall festgestellt werden.

Die Angehörigen werden vielfach, aber keineswegs immer dazu gehören. Der Haß kann auch die Maske des Mitleides annehmen und Kain erschlug seinen Bruder Abel.



Quelle: Karl Binding und Alfred Hoche, „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens: Ihr Maß und ihre Form“ (1920), in Anneliese Hochmuth, Spurensuche: Eugenik, Sterilisation, Patientenmorde und die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel 1929-1945, herausgegeben von Matthias Benad in Verbindung mit Wolf Kätzner und Eberhad Warns. Bielefeld: Bethel-Verlag, 1997, S. 179-86.

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