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Die Tägliche Rundschau zur Frage eines Lastenausgleichs (15. Februar 1947)

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In den Gesetzentwürfen zu dieser Frage hat man sich auch darüber Gedanken gemacht, wie die beabsichtigte Abgabe von Hausrat zugunsten der Minderbemittelten gestaffelt werden müßte. Man ist dabei zum Beispiel von einer Vermögensschätzung zu Anschaffungspreisen der Vorkriegszeit ausgegangen. Es liegt auf der Hand, daß hier eine Quelle unzähliger Streitigkeiten liegt. Diese Streitigkeiten müssen um so erbitterter und das Gefühl der ungerechten Behandlung wird um so brennender sein, wenn es darum geht, ob die Grenze, von der an die Abgabequote sich erhöht, bereits überschritten ist oder nicht. So sieht z.B. ein uns bekannter Entwurf vor, daß der Ausgleichspflichtige bei einem Hausratwert bis zu 5.000 Mark 5 Prozent abgeben soll, bei einem Wert von 5.000 bis 10.000 Mark dagegen 10 Prozent.

Übrigens zeigen solche Sätze, daß das Ergebnis einer derartigen Abgabe selbst ihre glühendsten Anhänger sehr enttäuschen müßte. Denn die große Masse der deutschen Bevölkerung fällt wahrscheinlich in die unterste Kategorie, und wenn von dieser tatsächlich 5 Prozent des Hausrats abgeliefert werden würde, so wäre das als Hilfe für eine Masse von 25 Millionen Menschen oder noch mehr eine ganz unbefriedigende Menge, deren Verwaltung und Verteilung viel mehr Arbeit machen würde, als die ganze Sache wert ist.

Endlich müssen sich die Umgesiedelten, Ausgebombten und andere Notleidende auch vor Augen halten, daß sie im Falle einer Zwangsabgabe nicht Sachen von guter Verwendbarkeit, sondern in den meisten Fällen Gegenstände erhalten würden, die ohnehin schon so gut wie unbrauchbar sind. Vieles davon würde auf dem Transport zerbrechen oder schwer beschädigt werden. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich das im einzelnen auszumalen; aber anscheinend verfügen die Gesetzemacher, die solche Pläne ausbrüten, nur über eine sehr geringe Vorstellungsgabe und Kenntnis des praktischen Lebens oder sie haben es sich in den Kopf gesetzt, diesen Zankapfel auf jeden Fall in das deutsche Volk zu werfen, um es von wichtigeren Dingen abzulenken.

Das ist gar nicht so schlecht ausgedacht. Für ein verarmtes Großmütterchen ist der Kochtopf, den es durch ein solches Gesetz zu bekommen hofft oder zu verlieren fürchtet, sehr viel wichtiger als die Frage, ob irgendein Konzernleiter im ganzen oder teilweisen Besitz seiner Verfügungsgewalt über Teile der deutschen Industrie bleiben soll. Indem man mit der „Sozialisierung“ bei den lebensnotwendigsten Gebrauchsgegenständen der werktätigen Massen beginnt, hofft man diesen Massen den Geschmack an Eingriffen in das Konzerneigentum gründlich zu verderben. Die Verfechter der „Sozialisierung der Gebrauchsgüter“ wissen auch genau, daß einer Naturalabgabe von Hausrat unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, wenn sie mit einiger Aussicht auf praktische Ergebnisse durchgeführt werden soll. Eben diese Schwierigkeiten wünschen sie, um dann sagen zu können: „Da seht ihr, wohin es führt, wenn man auch nur geringe Eingriffe in das Privateigentum vornimmt!“

Der einzige vernünftige Ausweg aus der gegenwärtigen Not ist weitere freundnachbarliche Hilfe auf freiwilliger Grundlage und eine möglichst schnelle und große Neuproduktion. Für die sowjetische Besatzungszone hat der Befehl Marschall Sokolowskijs gezeigt, daß diese Neuproduktion nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Wenn auch zunächst nur die allerdringendsten Bedürfnisse gedeckt werden können - wobei man sich nicht schematisch auf Umsiedler und Ausgebombte beschränken darf -, so führt dieser Weg doch sicherer zum Ziel als demagogische Gesetze, mit denen die Reaktion die Spaltung der Werktätigen noch weiter vertiefen will.



Quelle: „Lastenausgleich durch Naturalausgabe? Ein Zankapfel als Ablenkungsmanöver der Reaktion“, Tägliche Rundschau, Nr. 39, 15. Februar 1947; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr., 132, S. 285-87.

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