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Die Zentralstelle der Evangelischen Bahnhofsmission: Arbeitsbericht (1945/46)

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Da sind die Kranken, - (Typhus und Ruhr vor allem), da sind die mit Ungeziefer übersäten Menschen, die Sterbenden, die Toten! Die Bahnhofsmissionarinnen arbeiten an ihnen unter Einsatz des eigenen Lebens! Da sind die Hungernden! Erschütternd ist die Schilderung aus einer westlichen Stadt:

„Als der Zug einlief, sahen wir mit furchtbarem Entsetzen, wie Menschen aus ihm herausfielen, die total geschwächt, unfähig aufrecht zu gehen, schreiend nach Brot, über die Schienen auf uns zugekrochen kamen.“

Es beginnen die Heimkehrertransporte, und wieder sei an Frankfurt/O erinnert, wo viele Wochen hindurch täglich 100-200 Soldaten morgens in den Strassen vor Keller- und Hauseingängen tot aufgefunden werden. Der Bahnhof Rummelsburg berichtet im November 1945, dass am Busstag ein unangemeldeter Heimkehrertransport, der 1 ½ Tage von Frankfurt bis Berlin brauchte, einläuft. Er birgt 30 Tote. (Die Arbeit in Rummelsburg war besonders schwer. Das Bahngelände allein erstreckt sich 3 km lang. Oft kamen an ganz verschiedenen Stellen 3-4 Transporte auf einmal an.)

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3. Damit wird als dritter bleibender Eindruck für die B.M.-Arbeit 1945 deutlich: die über alle Begriffe grossen Schwierigkeiten, zu helfen. Überall zerstörte Bahnhöfe. Kein Raum, kein Wasser, keine Kochgelegenheit, keine Lebensmittel, keine Medikamente, keine Unterbringungsmöglichkeiten oder nur solche, wo einen das Grauen packt und die Ärmsten besser unter freiem Himmel liegen und sterben (z.B. der La Plaza-Bunker in Berlin.) Keine Tragbahren, keine Transportmöglichkeiten, kein Telefon zu Krankenhäusern, Ämtern, Bahnstellen, kirchlichen Stellen u.a.m. Keine Träger, keine Geleitpersonen, die durch die Strassen führen, wo alle Verkehrsmöglichkeiten fehlen und die erschöpften Mütter, Kinder, Kranke und Greise mit ihrem schweren Gepäck viele Kilometer bis zu einer Unterkunft laufen müssen. Und es bleibt eine der schwersten Nöte, dass auf tausend Fragen keine Antwort und in tausend Fällen keine Hilfe gegeben werden kann. Zu alledem kommt die persönliche Unsicherheit für die Bahnhofsmissionarinnen hier im Osten. Nachtdienst, für Männer gefährlich, ist für Frauen einfach unmöglich. Er ist ja auch heute noch Gefahr.

Angesichts dieser Tatsachen darf gesagt werden: Sicherlich konnte die B.M. nicht entfernt die Not lindern, die ihr begegnete. Aber: sie war da. Als erste. Die anderen, die sich jetzt um den Vorrang, Bahnhofsdienst zu tun, bewerben, kamen, als das Schrecklichste überstanden war. Was hier von den Bahnhofsmissionarinnen an tapferem Einsatz geleistet worden ist, wird unvergessen bleiben. Hier ist wirklich Nächstenliebe unter völligem Einsatz des eigenen Ichs und ohne Fragen nach Lohn und Dank geübt worden. Ja, man konnte staunen, mit welch unermüdlicher Erfindungsgabe Mittel und Wege gefunden wurden, um zu helfen. Und wir wollen nicht vergessen, dass unsere Bahnhofsmissionarinnen, selbst hungrig, müde, am Ende der Kraft, angefochten von eigenem Leid, vielfach selber als Flüchtlinge im Dienst gestanden haben und noch heute stehen.

II. Die Arbeit der Zentralstelle.

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Im Herbst wird die Verbindung mit der Caritas aufgenommen und die alte „Kirchliche Konferenz der Bahnhofsmission“ neu ins Leben berufen. - Dies führt von vornherein zu einer sehr regen Zusammenarbeit mit der katholischen Leitung. Darüber ist viel Positives zu verzeichnen, eine wirkliche gegenseitige Hilfe und Förderung. Aber zugleich wird, z.T. nicht ganz unbedenklich, eine sehr starke katholische Aktivität sichtbar. Die Wachsamkeit von unserer Seite bleibt dringend erforderlich. - Es geht nun von der Zentrale her an Materialbeschaffung, vor allen Dingen werden Schilder und Armbinden gebraucht. Alle Anläufe darin zeitigen aber erst 1946 Erfolge. - Am 16. November 1945 ist ein erstes Zusammenkommen mit Vertretern der Landes- und Provinzialstellen der B.M. in der Ostzone möglich. Es findet statt im Zentralausschuss der I.M. Berlin-Dahlem und bringt viele gegenseitige Anregungen. Die Zentralstelle wird um Richtlinien gebeten, die alsbald herausgehen.

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IV. Aus dem Westen wird deutlich, dass die dortigen B.M.n leichtere Arbeitsbedingungen haben. Trotz zerstörter Bahnhöfe kommen sie erheblich schneller zu Räumen, arbeiten ungehinderter und haben vor allem erstaunliche Möglichkeiten an materieller Hilfe. Besonders in der Lebensmittelausgabe. - Ich kann Frau Äbtissin von Alvensleben als meine Vertretung in der britischen Zone einsetzen und schliesslich auch Ende des Jahres Fühlung mit unserem Vorsitzenden, Präsident von Kameke, aufnehmen. In der amerikanischen Zone übernimmt P. Schumacher, der Leiter der Inneren Mission in Frankfurt/M. die Betreuung der B.M. Alle schriftlichen Herausgaben der Zentrale, z.B. Rundschreiben, Richtlinien usw. werden allmählich auch dem Westen zugeleitet.

Bahnhofsmission im Jahre 1946.

1946 bringt in vielem ein ähnliches Bild und ist doch zugleich sehr anders, vor allem für die Ostzone. Neue Fragen, neue Nöte, aber auch neue Möglichkeiten zeigen sich. Alles in allem gilt für 1946: ein sehr lebhaftes Jahr mit grossen Sorgen und doch letzten Endes mit sehr viel Grund zum Danken.

I. Die örtliche Arbeit.

Dazu ist zu sagen:

1. Die Arbeit wird geordneter.

Es finden sich Räume, oft viel zu klein und doch bedeuten sie ungeheure Hilfe. [ . . . ]

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