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Hirtenbrief, beschlossen von der Konferenz der katholischen Bischöfe Deutschlands in Fulda (23. August 1945)

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Unser Volk, ja die gesamte Menschheit ist heute wieder vor jenes Entweder–Oder gestellt, von dem erstmals der greise Simeon im Tempel zu Jerusalem gesprochen hat: „Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler…“ (Luk. 2, 34). Die Entscheidung für uns lautet heute: Entweder mit Christus wieder bergan, einer schöneren Zukunft entgegen, oder ohne, ja gegen Christus hinab in den völligen Untergang.

Wir müssen wieder zurückfinden zu einem lebendigen Gottesglauben, damit uns die Grundvoraussetzung allen menschlichen Gemeinschaftslebens wieder geschenkt wird: die Ehrfurcht. Ehrfurcht allein kann menschliches Gemeinschaftsleben auf dieser Erde möglich und erträglich machen. Ehrfurcht vor Gott, dem Schöpfer und Herrn, Ehrfurcht vor seinem heiligen Willen, wie er sich uns kundtut in den heiligen 10 Geboten! Und Ehrfurcht auch vor dem Mitmenschen! Ist nicht gerade die Ehrfurchtslosigkiet der nun hinter uns liegenden Zeit die Quelle aller Übel und die Wurzel aller Sünden gewesen, die wir beklagen und unter denen wir gelitten haben? Nur auf der Grundlage der Ehrfurcht kann sich ein rechtes Familienleben aufbauen, nur die Ehrfurcht das Verhältnis der Geschlechter zueinander ordnen und heiligen.

Ehrfurcht muß herrschen vor dem Leben, das Gott allein schenken und auch wieder nehmen kann! Der Mensch darf nicht selbst über sein Leben verfügen, denn es ist Gottes Leben. Selbstmord, mag man ihn noch so harmlos bennen als „Freitod“ oder wie immer, bleibt ein schwerer Eingriff in Gottes Herrscherrechte, eine der furchtbarsten und folgenschwersten Sünden, falls sie bei vollem, klaren Bewußtsein geschieht.

Leben darf auch dann nicht bewußt und gewollt vernichtet werden, wenn es durch Betrug oder Vergewaltigung seinen Ursprung genommen hat. Rein menschlich gesehen gehören solche Fälle sicher zu den tragischsten, in die eine Frau geraten kann, und es gehört eine große sittliche Kraft dazu, dieses Leid durchzustehen. Alle, die mit solchen Fällen in Berührung kommen, seien es Verwandte, vielleicht der eigene Gatte oder Bräutigam, Vater oder Mutter, seien es Ärzte oder Priester, Sozialbeamte, Mitglieder der Frauen- und Jungfrauenvereine oder wer immer, alle werden mit größter Anteilnahme der Unglücklichen sich annehmen und ihr Los zu erleichtern suchen.

Es werden mit öffentlicher Hilfe nötigenfalls Anstalten gegründet oder bestehende ausgebaut werden müssen, in denen solche Kinder aufgenommen werden können, um in christlicher Liebe erzogen zu werden. Niemals aber kann es gestattet sein und niemand kann das Recht geben, in die Herrscherrechte Gottes einzugreifen und keimendes Leben zu töten! Jeder Arzt, der den Eid des Hippokrates kennt, wird es unter seiner Ehre als Arzt halten, zu solchem Tun seine Hand zu leihen. Die Mütter werden, so schwer es ihnen fällt, bemüht sein müssen, weniger an das ihnen widerfahrene Unrecht, als an das unschuldige Leben zu denken, das heranreift. Gott, vor dessen Auge sie schuldlos dastehen, wird ihnen die Kraft schenken, ihr Los in christlichem Starkmut zu tragen.

Es muß wieder Ehrfurcht herrschen auch vor der Persönlichkeit des Nächsten! Wir haben alle noch zu lebendig vor Augen, was aus dem Menschen wird, der entrechtet, mißhandelt, seiner Menschenwürde beraubt wird! Es kann keine wahre Gemeinschaft ihre segenspendenden Wirkungen unter den Menschen entfalten, wenn nicht die Ehrfurcht vor dem fremden Ich, vor seinem Recht auf Eigentum, auf seinen guten Namen von allen geachtet wird.

[LEBENDIGES GLAUBEN AN GOTT]

In der Tat, nur auf einen lebendigen Gottesglauben läßt sich ein rechtes Volks- und Staatsleben aufrichten. Es ist das einzige tragfähige Fundament. Laßt uns auf diesem Fundamente aufbauen im Geiste der Liebe, jener Liebe, die unser Herr und Heiland uns gelehrt und die er zum Kennzeichen seiner Jüngerschaft gemacht hat: „Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt“ (Joh. 13, 35).

Es klingt uns noch in den Ohren, wie man diese Liebe geschmäht und als unmännlich in Acht und Bann erklärt hat, um an ihre Stelle Macht und Gewalt zu setzen. Wir tragen heute die entsetzlichen Folgen dieses Appells an die Gewalt. Die Liebe hat sich noch zu allen Zeiten als der festeste Mörtel beim Bau jeglicher menschlicher Gemeinschaft erwiesen. Wir brauchen gerade heute, in dem schier uferlosen Elend, in das wir gestürzt sind, diese opferfrohe und opferstarke Liebe. Ein schwerer Winter liegt vor uns. Er würde nicht leichter werden, wenn wir mutlos die Hände in den Schoß legten oder aus einer Art Verzweiflung uns von radikalen Strömungen fortreißen ließen. Nein, wir wollen in gläubigem Gottvertrauen mutig Hand anlegen, treu und unentwegt arbeiten, in selbstloser Liebe einander helfen, in rechter Verbundenheit zueinander stehen. Helft einander aus mit Wäsche und Kleidung, sowie mit dem notwendigen Hausrat! Unterstüzt euch gegenseitig beim Wiederaufbau eurer zerstörten Wohnungen! Bietet denen, die heimatlos geworden sind, in herzlicher Liebe ein gastliches Dach und teilt mit ihnen den Tisch!

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