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Für und wider den Jazz: Joachim-Ernst Behrendt und Theodor W. Adorno (1953)

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Er will sich von meinen „philosophischen und soziologischen Folgerungen fernhalten“, obgleich doch Aussagen wie die vom „Jazz als ursprünglichster und vitalster musikalischer Äußerung, die unser Jahrhundert hervorgebracht hat“, wohl aus dem kulturphilosophischen Vorrat stammen; in Wahrheit habe ich meinen Aufsatz bloß geschrieben, um ihnen den musikalischen Boden zu entziehen. Wo ich aber über die musikalischen Sachverhalte hinausgehe, stellt Berendt sich dumm. Ich hatte betont, was er mir als vernichtende Konstatierung entgegenhält, daß nämlich in den europäischen Diktaturstaaten beider Schattierungen der Jazz als dekadent verfemt war, und hatte lediglich die anthropologischen Voraussetzungen angedeutet, die es dem Jazz erlauben, als Massenphänomen sich festzusetzen: die sadomasochistischen. Unabhängig von mir, doch ganz analog, schrieb Sargeant, Jazz sei „a ‚get together‘ art for ‚regular fellows‘. In fact it emphasizes their very ‚regularity‘ by submerging individual consciousness in a sort of mass self-hypnotism ... In the social dimension of jazz, the individual will submits, and men become not only equal but virtually indistinguishable.“ Berendt, der mir den „Nerv“ abstreitet, fühlt nicht, daß alle Abweichungsmomente im Jazz dem Konformismus dienen. Ich fürchte, in seiner Arglosigkeit hat er das Ritual etwa so wenig verstanden wie Parsifal jenes am Ende des ersten Akts. Isn’t it romantic?

Da Berendt schließlich, wo es um die Neger geht, ad hominem argumentiert, muß er mir schon gestatten, daß ich von mir selber rede und ihn darauf aufmerksam mache, daß ich in weitem Maße verantwortlich bin für das meist diskutierte amerikanische Buch zur Erkenntnis des Rassevorurteils. (1) Er mag mir glauben, daß ich mir auf den Erfolg nichts einbilde, aber die Neger gerade vor meinem weißen Hochmut – dem eines von Hitler Verjagten – zu beschützen, ist grotesk. Eher möchte ich nach meinen schwachen Kräften die Neger gegen die Entwürdigung verteidigen, die ihnen widerfährt, wo man ihre Ausdrucksfähigkeit für die Leistung von Exzentrikclowns mißbraucht. Daß es unter den fans ehrlich protestierende, nach Freiheit begierige Menschen gibt, weiß ich: mein Aufsatz erwähnt, daß „das Exzessive, Unbotmäßige am Jazz ... immer noch mitgefühlt wird“. Gern rechne ich Berendt zu denen, die eben darauf ansprechen. Aber ich glaube, daß ihre Sehnsucht, vielleicht infolge des abscheulichen musikalischen Bildungsprivilegs, das in der Welt herrscht, auf eine falsche Urtümlichkeit abgelenkt und autoritär gesteuert wird. Musik hat in den letzten Jahrhunderten die Züge der Dienste verloren, die sie zuvor in Fesseln hielten. Soll sie auf ihr heteronomes Stadium zurückgeworfen werden? Soll man ihr bloßes Zu-Willen-Sein als Bürgschaft kollektiver Verbindlichkeit annehmen? Ist es nicht eine Beleidigung der Neger, die Vergangenheit ihres Sklavendaseins seelisch in ihnen zu mobilisieren, um sie zu solchen Diensten tauglich zu machen? Das aber geschieht, auch wo man zum Jazz nicht tanzt – und im Savoy in Harlem wird getanzt. Der Jazz ist schlecht, weil er die Spuren dessen genießt, was man den Negern angetan hat und wogegen Berendt mit Recht sich empört. Ich habe kein Vorurteil gegen die Neger, als daß sie von den Weißen durch nichts sich unterscheiden als durch die Farbe.

Theodor W. Adorno


Quelle: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 67, 7. Jahrgang, 9. Heft, Stuttgart 1953, S. 887-93



(1) T. W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sandord: „The authoritarian Personality“, Harper & Brothers, New York 1950. Erschienen in der Serie „Studies in Prejudice“, herausgegeben von Max Horkheimer und Samuel Flowerman.

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