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Der Dawes-Bericht (1924)

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Wir lehnen selbstverständlich die Ansicht ab, daß aus Deutschlands Hilfsquellen zunächst seine vollen inneren Bedürfnisse befriedigt werden müssen und daß für die Erfüllung seiner Vertragsverpflichtungen lediglich das herangezogen wird, was ihm an Ueberschüssen herauszuwirtschaften beliebt. Gleichzeitig ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß der Haushalt sofort aus dem Gleichgewicht gebracht und auch die Währungsstabilität wahrscheinlich in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn die an erster Stelle stehende Reparationsverpflichtung, die Deutschland begleichen soll, zusammen mit einem nicht weiter einschränkbaren Minimum für seine eigenen inneren Ausgaben, eine Totalsumme ausmacht, die seine Steuerkraft in einem gegebenen Jahr überschreitet. In dem Fall ist natürlich der einzig mögliche Ausweg der, daß die Vertragsverpflichtungen für das betreffende Jahr ermäßigt werden. Daher hält sich die Summe, die mit Sicherheit zu Reparationszwecken angesetzt werden kann, in der Nähe der Ziffer, die den Unterschied zwischen den Höchsteinkünften und Mindestausgaben für Deutschlands eigene Bedürfnisse darstellt.

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Wir erkennen durchaus an, daß es notwendig und gerecht ist, den in Vertrag von Versailles enthaltenen Grundsatz aufrecht zu erhalten, demzufolge Deutschlands Zahlungen mit einer Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit steigen sollen. Wir erkennen ferner an, daß bei einer heute schon endgültig vorgenommenen Schätzung diese Leistungsfähigkeit sehr wohl unterschätzt werden könnte, und daß es sowohl gerecht als auch durchführbar ist, daß die Alliierten an einem etwa zunehmenden Wohlstand Deutschlands teilnehmen. Der einzige Punkt, den wir als wesentliche Bedingung der Stabilisierung ansehen, ist, daß die Erhöhung der alliierten Forderungen, die einer erhöhten Zahlungsfähigkeit entspricht, durch eine Methode bestimmt werden müsse, die bereits in der grundlegenden Regelung klar festgesetzt wird: die Anwendung dieser Methose müßte automatisch erfolgen, wenigstens müßte ihr Charakter jede Streitigkeit und jeden Verdacht der Parteilichkeit ausschließen.

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Wir haben unser Möglichstes getan, das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung in Deutschland und den anderen Ländern anzuwenden.

Als schlichte Forderung der Gerechtigkeit verträgt dieser Grundsatz keine Diskussion und ist auch im Vertrage von Versailles vorgesehen, daß dem deutschen Volke eine Steuerlast auferlegt werden muß, die mindestens ebenso schwer ist wie die der Völker der alliierten Länder. In Deutschland hat kein Mensch, der vor dem Ausschuß sprach, sei es ein Privatmann oder eine Vertreter eines Volksteils, diesen Grundsatz, wenn man ihn ihm offen vorlegte, jemals bestritten. Soll der Grundsatz eine gewisse Einschränkung erfahren, so kann diese nur aus praktischen Rücksichten oder aus Zweckmäßigkeitsgründen, die im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse oder im Interesse der Alliierten selbst liegen, erfolgen. Es ist offensichtlich, daß dieses Prinzip moralisch einwandfrei ist. Es würde entschieden jedem natürlichen Gerechtigkeitsgefühl wiederstreiten, wenn die Steuerverpflichtungen der Länder, in denen große und wichtige Landesteile durch den Krieg verwüstet worden sind, die Last der Wiederherstellung tragen sollen, während der deutsche Steuerzahler, auf dessen Gebiet der Krieg keine nennenswerte Verwüstung hervorgerufen hat, mit einer leichteren Last davonkommt.

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Es hat bisher die Tendenz bestanden, zwei verschiedene, wenn auch verwandte Fragen mit einander zu vermengen, nämlich erstens die der Höhe der Einkünfte, die Deutschland für das Reparationskonto zur Verfügung stellen kann, und zweitens die des Betrages, der ans Ausland abgeführt werden kann. Die aufgebrachten und an die Alliierten auf Reparationskonto abgeführten Gelder können auf die Dauer nicht die Summen überschreiten, deren Zahlungsbilanz die Ueberweisung gestattet, ohne daß Unstabilität der Währung und des Staatshaushalts die Folgeerscheinung ist. Es ist indessen vollständig klar, daß der durch Steuern aufbringbare Ueberschuß des Staatshaushaltes nicht durch die völlig verschiedene Frage der Möglichkeit der Ueberweisung ans Ausland begrenzt wird. Wir schlagen daher vor, scharf zwischen den beiden Problemen zu unterscheiden und zuerst das Problem des höchsten Staatshaushaltsüberschusses und dann das der Zahlung an die Alliierten zu behandeln. Die bisherigen abweichenden Urteile über Deutschlands „Zahlungsfähigkeit“ waren häufig von der Wahl zwischen diesen beiden Methoden abhängig.

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