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Befehlshaber der Reichsjuden – Josel von Rosheim (ca. 1480-1554)

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Im Jahr 5306 (1545/46) kam unser Herr der Kaiser nach Regensburg und befahl allen Fürsten und Prinzen, dem Reichstag beizuwohnen und ihre Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten in Glaubenssachen beizulegen (33). Obwohl die meisten von ihnen kamen, waren die beiden Herzöge von Sachsen und Hessen und ihre Anhänger widerspenstig und verärgerten den Kaiser; sie lehnten sich mehrere Jahre lang gegen ihn auf. Unterdessen bemühte ich mich, neue Privilegien und Berechtigungsnachweise zu erlangen, wie sie uns noch nie ein Kaiser oder König gewährt hatte. Bereits in Speyer hatten der Kaiser und seine Räte versprochen, mir diese zu geben, und während dieses Reichstages in Regensburg ersuchte ich die Räte dringlich, ihr Wort zu halten. Und tatsächlich wurden sie mit der Hilfe Gottes, gepriesen sei Er, niedergeschrieben und mit des Kaisers Unterschrift und Siegel besiegelt. Bald danach entschloss sich der Kaiser, Streitkräfte zu sammeln und einen Krieg gegen die oben erwähnten Fürsten zu führen. Dann kamen die Leute, deren Sprache man nicht verstehen kann—die Spanier—und hätten das jüdische Volk angegriffen, wäre nicht Gott mit uns gewesen und hätte uns geholfen, als ich zu jenem großen Statthalter—dem obersten Minister des Kaisers—namens Granvelle (34) kam und ihn bat, den Kaiser zu beschwören und inständig zu bitten, uns zu beschützen, und er tat wie wir ihn gebeten. Er ging zum Kaiser und sagte zu ihm, „Siehe, die Juden haben schwere Verfolgungen seitens jener lutherischen Ketzer erlitten, und nun kommen Euere eigenen Leute, die Spanier, und werden sie angreifen trotz der neuen Rechte, die Ihr ihnen [den Juden] zuvor gewährt habt. Und der Kaiser gab eine gnädige Antwort: „Es wäre nicht Recht, ließe man die Juden ungeschützt. Hier sind schriftliche und unterzeichnete Befehle, dass kein Soldat aus irgendeiner unserer Armeen bei Strafe eine Hand oder einen Fuß heben soll, um irgendeinen Juden zu verletzten oder zu schädigen.“ Daher wurde auf kaiserlichen Befehl in allen Teilen Deutschlands öffentlich verkündet, dass jeder, der den kaiserlichen Erlass verletzte, mit dem Tod bestraft würde. Auf einmal wurden die Spanier den Juden wohlgesonnen, und als der Kaiser mit seiner Armee zur Schlacht eintraf, brachten ihm die Juden Brot und Wein und versorgten die Streitkräfte mit mehr als 50 Wagen. Die beiden Fürsten von Sachsen und Hessen hatten zusammen mit all den deutschen Städten riesige Streitkräfte, über 100.000 Fußsoldaten und Panzerreiter. Doch wenngleich unser Herr der Kaiser, gepriesen sei er, eine nicht so große und mächtige Armee hatte wie jene—nur insgesamt 40.000—kam Gott zu seiner Hilfe, sodass er sie verfolgte und völlig vernichtete. Und schließlich nahm er die beiden Fürsten fest. Sie befinden sich noch immer in seiner Gefangenschaft. Wir riefen alle Juden energisch auf, morgens und abends für die Sicherheit des Kaisers zu beten und auch „Unser Vater, unser König“ zu rezitieren und das Lied der Einheit (35), und in der heiligen Gemeinde von Frankfurt beteten die Juden, dass Gott unseren Herrn den Kaiser schützen solle und sein Volk Israel. Denn Seine Hand reicht weit genug, um die die Vielen und die Wenigen zu erretten. Der Sieg, den der Kaiser errang, datierte in das Jahr 5307 (1546/47). Und Gott wirkte Wunder und tat Wunderbares für uns: In Seiner Gnade beschützte Er das jüdische Volk, sodass wir keine einzige Person in diesem großen Krieg verloren. Gepriesen sei Gott, der uns in Seiner liebenden Güte nicht im Stich ließ und uns zweimal von jenen großen Scharen befreite. Möge Er fortfahren und auch mehr tun. Amen.

Im Jahr 5307 (1546/47) entsandte unser Herr der Kaiser den Befehlshaber der Armee mit 10.000 Soldaten, um die Stadt Frankfurt zu belagern und zu unterwerfen. Falls die Stadt sich ergeben und um Frieden bitten sollte, dann würde er unter Vorbehalt zustimmen. Die jüdische Gemeinde schickte Abgesandte zu mir mit dem Wunsch, ich möge mich für sie beim Kommandeur, Graf von Buren (36), einsetzen. Die Stadt wurde erobert und die Tore für den Kommandeur und all seine Soldaten geöffnet. Ich ging mit Friedensangeboten zum Befehlshaber und brachte ihm ein Geschenk von 800 Gulden. Und da herrschte Frieden für die Juden in der Gasse (37) und in der Stadt. Die in Feuchtwangen und Darmstadt gemachte Kriegsbeute wurde billig an die Juden verkauft, und sie konnten eine gewisse Summe Geldes verdienen. Lob sei Gott, ihre Gebete waren wirksam und ihre Trauer verwandelte sich in Freude. Möge Gott weiterhin ganz Israel Frieden gewähren.



(33) Spielt auf ein Kolloquium zwischen katholischen und protestantischen Theologen an, dessen Abhaltung Karl V. gleichzeitig mit dem Reichstag anordnete.
(34) Der Reichskanzler Nicolas Perrenot de Granvelle (1484-1550).
(35) Jüdische Bußlieder.
(36) Maximilian von Egmont (1509-48), Graf von Buren und Leerdam, ein kaiserlicher Befehlshaber, dessen Armee rheinaufwärts marschierte, um Karl V. im Feldzug von 1546 zu unterstützen.
(37) Die Judengasse, das Herz des Frankfurter Ghettos.



Quelle der englischen Übersetzung aus dem Hebräischen: Joseph of Rosheim, The Historical Writings of Joseph of Rosheim: Leader of Jewry in Early Modern Germany, Hg. Chava Fraenke-Goldschmidt und Adam Shear, übers. Naomi Schendowich, Leiden, Brill, 2006, S. 315-39.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Erwin Fink

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