GHDI logo

Thomas Mann, „Zur jüdischen Frage” (1921)

Seite 4 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Einmal habe ich eine ganze Judengeschichte geschrieben, desselben Sinnes, — die Novelle eines wild verzweifelten Zwillingspaares und seiner Gefühlsverwirrung aus Üppigkeit, Einsamkeit und Haß. . . Wälsungenblut! Es kommt darin die anspielungsreiche Beschreibung einer Aufführung von Wagners »Walküre« vor, und wenn gelegentlich von dem »verhaßten, respektlosen und gotterwählten Geschlecht« die Rede ist, das im Schoß des geretteten Weibes »zähe fortkeimt«, und aus welchem ein Zwillingspaar, den plump-regelrechten Gatten betrügend, »seine Not und sein Leid zu so freier Wonne vereint«, — so ist auch das Verwirrung: des Lesers nämlich, der nicht mehr weiß, von welchem Geschlechte denn eigentlich die Rede ist. Thomas Theodor Heine hat das Buch illustriert, — eine Verbindung, die man in Weimar als bedeutungsvoll notiert haben wird. Aber, du großer Gott, was kommen denn auch in meinem Leben nicht alles für Verbindungen vor!

Denn ein andermal wieder bin ich anläßlich des jüdischen Motivs ja sogar in Verse verfallen.

Wie in Venedig zuerst, in Traumgenügen und Wonne,

So noch einmal wallte das Herz mir, zehn Jahre später—

Märchenosten! Traum vom Morgenland! Damals, mein Schützling.

Als ich, jugendlich willig zum Rausch, auf der süßen Gestalt ließ

Ruhen mein Auge, da fiel Dir das Los, es rief Dich die Stimme

In die Zeit . . . .

Die Hexameter schickte ich Ihnen schon einmal. Sie sind anerkannt schlecht, aber schön sind sie doch, — wenn auch außerdem zynisch in ihrer abenteurerhaft-unverantwortlichen Verleugnung aller großen Gesichtspunkte, wie zum Beispiel des rassenpolitischen. Allein was verlangt man! Des gemischtesten Volkes Sohn, bin ich selber Mischling noch einmal, lateinischen Geblütes zu einem Vierteil; Mittelalterlich-Deutsch-Bürgerliches, das entzückt erwachte, als ich jetzt eben die Türme meiner Totentanz-Heimat festlicher Weise wiedersah, kreuzt sich in mir mit minder Würdigem, Modern-Demokratischem, den Instinkten des psychologisierenden Allerwelts-Romanciers. Was verschlägt es, daß meine Kinder nun auch noch einen goldnen Kuppel-Traum vom Märchen-Osten und Morgenland im Blute hegen? Mögen sie als unvollkommene Versuchsexemplare jener „eurasisch-negroiden Zukunftsrasse“, von der die Literaten träumen, auf dem Wege des Fortschritts wandeln. . . .

Dieser Weg ist nicht völlig der meine, wie ich auf sechshundert Seiten auseinanderzusetzen suchte: doch wäre es unwahrhaftig, nähme ich die Gelegenheit nicht wahr, zu erklären, daß die kulturelle Reaktion, in der wir stehen, und von der der Hakenkreuz-Unfug ein plump populärer Ausdruck ist, meinen Bedürfnissen wenig entgegenkommt. Einer solchen Reaktion haben unsere ententegläubigen Kriegssaboteurs sich von einem deutschen Waffensiege versehen, aber nach dem triumphalsten noch hätte Roheit nicht ärger ins Kraut schießen können, als sie es unter gegenteiligen Umständen getan, und wenn es jedenfalls so kommen mußte, so hätten wir doch lieber gleich siegen sollen! Niemand hat unter dem moralischen Zusammenbruch von 1918, dem schaurig-radikalen Irrewerden des Deutschtums an sich selbst, der allgemeinen Waffenstreckung vor der Lügenideologie des westlichen Rhetor- Bourgeois qualvoller gelitten, als ich. Mein ganzes Herz gehört der Jugend, die heute, entschlossen, weder »Rom« noch »Moskau« als ihre Wahrheit und Wirklichkeit anzuerkennen, zwischen Ost und West das Deutsche sucht. Wenn es aber wahr ist, daß Münchner Studenten Gastvorlesungen eines großen Gelehrten, des »neuen Newton«, wie englische Liberalität ihn genannt hat, hintertrieben haben, weil dieser Mann erstens ein Jude ist und weil er zweitens, beheimatet in Sphären höchster und reinster Abstraktion, den pazifistischen Ausgleich der Völker befürwortet hat, — so ist das eine entsetzliche Schande, und ich begehre, wie es beim alten Claudius heißt, „nicht schuld daran zu sein“.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite