GHDI logo

Thomas Mann, „Zur jüdischen Frage” (1921)

Seite 3 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Kann ich es ändern? — Ich frage aber weiter: Muß ihre „gefällige Aufmerksamkeit und schmeichelnde Teilnahme“ nicht mehr als belanglose Nerven-Wohltat bedeuten? Hat sie nicht sachliches Gewicht, und bietet sie mir nicht irgendwie eine wirkliche Gewähr meines Wertes? Denn es ist ja nun einmal so und kann nicht geleugnet werden, daß, was in Deutschland nur den Echt- und Urdeutschen behagt, von den Juden aber verschmäht wird, kulturell nicht recht in Betracht kommen will,— während es doch durchaus nicht so liegt, daß etwa die Juden ausschließlich oder auch nur vorzugsweise das ihnen Verwandte stützten und förderten. Kerr wird niemals Carl Sternheim lieben und feiern, wie er Hauptmann liebt und feiert, und das nationale Piedestal, auf dem dieser heute steht, ist von Juden errichtet worden. Darum ist denn kein Irrtum törichter als der, zu meinen, was den Juden gefalle, müsse jüdisch sein, wie es der völkische Professor Bartels beharrlich meint. Tatsache scheint vielmehr, daß nur das Deutsche, das auch den Juden gefällt, als höheres Deutschtum in Betracht kommt, während umgekehrt die echtstämmigen Bourgeoisien Europas schlechtes jüdisches Wesen, als da war: Meyerbeer, Offenbach und Blumenthal, sich öfters nur zu gut haben gefallen lassen.

Da ich Adolf Bartels nannte. . . Die Hypothese, mein Bruder und ich seien Juden, hat dieser Forscher, soviel ich sehe, fallen lassen. Immerhin erklärt er in seinem neuesten literarischen Handbuche, ich hätte mich während des Krieges zwar, in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, zum Deutschtum bekannt, offen gestanden aber glaube er, Bartels, mir mein Deutschtum nicht recht. Ich weiß, warum, und werde mich dran gewöhnen müssen. Bleibt es aber dabei, daß man völkische Professoren auch durch ein deutsches Bekenntnis nicht versöhnt, falls es Geist hat, während man es mit den Juden selbst durch die äußerste Störrigkeit in Sachen der radikalen Demokratie nicht verdirbt, falls diese Störrigkeit eben nur Geist hat, — dann möge man doch ein Einsehen haben und keine antisemitischen Meinungen von mir verlangen!

Mit Vorstehendem ist auf die schwierige MittelsteIlung zwischen Deutschtum und europäischem Intellektualismus angespielt, die ich während des Krieges mir als mein Schicksal bewußt zu machen hatte, und an der sich mein Abenteurertum bewährt. Denn man ist Abenteurer damit, daß jedes Schicksal einem recht ist, wenn es nur überhaupt eines ist; so steht es mit mir. Auch mein Verhältnis zum Judentum war von jeher abenteurerhaft-weltkindlich: ich sah darin eine pittoreske Tatsache, geeignet, die Farbigkeit der Welt zu erhöhen. Klingt das allein unverantwortlich ästhetizistisch, so darf ich hinzufügen, daß ich auch ein ethisches Symbol darin sah, eines jener Symbole der Ausnahme und der hohen Erschwerung, nach denen man mich als Dichter des öfteren auf der Suche fand. Ein Arzt mit dem »unsympathischen« Namen Sammet sagt irgendwo bei mir: »Kein gleichstellendes Prinzip, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, wird je verhindern können, daß sich inmitten des gemeinsamen Lebens Ausnahmen und Sonderformen erhalten, die in einem erhabenen oder anrüchigen Sinn vor der bürgerlichen Norm ausgezeichnet sind. Der einzelne wird gut tun, nicht nach der Art seiner Sonderstellung zu fragen, sondern in der Auszeichnung das Wesentliche zu sehen und jedenfalls eine außerordentliche Verpflichtung daraus abzuleiten. Man ist gegen die regelrechte und darum bequeme Mehrzahl nicht im Nachteil, sondern im Vorteil, wenn man eine Veranlassung mehr, als sie, zu ungewöhnlichen Leistungen hat.« Das ist Romantik, ich gebe es zu. Aber die Auffassung des Judentums als einer aristokratisch-romantischen Tatsache, ähnlich dem Deutschtum, war nun einmal früh schon nach meinem Sinn, und am wenigsten angenehm waren mir immer jene Dissimulanten und Verdrängungskünstler unter den Juden, die bereits in der Tatsache, daß jemand ein so markantes Phänomen wie das jüdische nicht geradezu übersieht und aus der Welt leugnet, Antisemitismus erblicken.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite