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Leben zwischen den Konfessionen – Nikodemismus in Augsburg (1598)

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[Fragen an Martin Küenle]

[F.:] Was sein thon sey, davon Er sich erhallte?

[A.:] sagt er sei Burger alhie, seines Alter bej 65 Jarn. [ . . . ] sei ein Kirschner, dessen behelf er sich.

[F.:] Was Religion Er seye [ . . . ]?

[A.:] Er sei underweilen in die Kirchen der Augspurgischen Confession, doch nit strengs gangen; und sei sonsten nit ohn, das er etwan dahaim Schwenckfeldische und Luterische Büecher gelesen, und hab auch etlich mal den jetzigen Domprediger Herrn Gregorium gehört. Und Meldet hiebei das Im die Schwenckfeldisch Lehr am besten gefallen, von wegen dieselb vor andern uf ein christlich Leben und Frömbkeit dringt [ . . . ].


Actum Montags, den 7ten Decembris Ao. etc. 98

[Aus dem zweiten Verhör David Altenstetters]

[F.:] Man wisse, das Er den Grundt in allem nit angezaigt, darwegen soll Er es noch thon und mehrern Ernst nit verursachen. Weylen Er jungst selbsten bekhennt, das Er weder der catholischen Religion noch der Augspurgischen Confession allerdings zugethon seye, derowegen soll Er lautter anzaigenb, zu was Religion Er sich dann bekhenne?

[A.:] Nach Fürhaltung des ersten [Fragstücks] sagt er ufs ander, dieweil die Theologj der Catholischen Religion und Augspurgischen bißhero an einander zum hefftigisten zu wider, sei er weder dem einen, noch andern tail beigefallen, sonder sej gleichsam frej gewesen und hab dahaim zu Hauß aller hand christliche Büecher gelesen, als nemblich den Taulerum (1) Nachfolgung Christi (2), die Außlegung Erasmi uber dz new Testament und dann ein alte Bibel, welche vor 100 Jarn zu Nürnberg getruckt worden, daneben aber sei er underweilen in die catholische und bisßweilen auch in die luterische Kirche gangen [ . . . ] und ob er gleichwol an dem ainen Ort sowol als an dem andern bißweilen gehört, das Jme nit gefallen, so sej doch nit ohn, das er offt in beiden Kirchen vil guets hab hören predigen [ . . . ]. Und ob er gleichwol verhof, man solt Jne noch so eilends weder zu der ainen noch andern Religionen auß obgemelten nit tringen, sonder Jme etwas Zeit lassen, damit er sonderlich den Herrn Gregorium etwas bessers hören kan und der Catholischen Religion halben der Sachen mit mehrerm nachgedencken kündt: Jedoch woher Jme solches abgeschlagen wurde, so müest er sich zu der Augspurgischen Confession bekhennen, auß Ursachen er bißhero jn der Catholischen Religion nit genugsamen Bericht hab. [ . . . ]


[Erneute Fragen an Martin Küenle]

[F.:] Weylen Er wisse, das alain 2 Religionen, die Catholisch und Augspurgisch Confession alhie zugelassen, deren khainer Er zuegethon, und doch jungst angezaigt, Er wisse von khainem Irrthumb darinnen Er sey, dowegen soll Er sein Confession oder Glauben lautter bekhennen.

[A.:] Der Schwenckfeldisch Glauben gefall Jme am besten.

[F.:] Man wisse [ . . . ] das Er und seine mitglaubensgenossen, sonderbare Zusamenkhonfften an Feyr: und Sonntägen zwischen 7 und 8 Uhren morgens gehabt [ . . . ].

[A.:] Er sej bei der gleichen Versamblungen nie gewesen, wiß auch von kainer zu sagen; und was in den Schwenckfeldischen Büchern und Schrifften gelesen, das hab er allain und in der Stille für sich selbsten verricht, und so gar auch sein Gesindt nit dazu gewisen, mit vermelden, das seine Leut und Ehehalten tails jn die catholisch (wie dann darunder sein Baß (3) sej) und tails in die luterisch Kirchen gehen. [ . . . ]



(1) Johannes Tauler (Tauweler), um 1300–61; Dominikaner, Verfasser mystischer Predigten. Alle Fußnoten stammen aus: Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 105-09.
(2) Das dem Thomas von Kempen (1379/80 – 1471) zugeschriebene Werk De imitatione Christi.
(3) Base



Quelle: Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Urgichtensammlung, 179; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 105-09.

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