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Aufsicht über die protestantischen Kirchen – Visitations- und Schulordnung aus der Kurpfalz (1556)

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Die gemainen Mengl unnd Feel aber sind zweierlei – etliche belangendt die Kirchen unnd Pfarkinder, etliche die Pfarher und Kirchendiener.

Bey der Kirchen unnd den Pfarkinderen ist zum ersten strefflich der unfleissige und liederliche Kirchgang, das die Leut entweders gar nicht oder doch langsam in die Kirchen geen, Predig zu hören.

Zum andern die Verachtung und Geringschetzung des hailigen Sacrament [ . . . ].

Zum dritten das, außgenommen an wenig Orten, kain Catechismus ist gehallten worden. Unnd ob er schon von etlichen Pfarherren etwan angefangen, haben sy doch davon wider müssen ablassen, dieweil weder jung noch allt zu solcher Predig und underricht in die Kirchen komen seind.

[Viertens würden nach der Sakramentsspendung keine Almosen aufgebracht. Die Baugefälle für die Kirchen würden zweckentfremdet.]

Zum sechsten, das noch zur Zeit in vilen Kirchen allerley abgottischer Bilder, Altartaflen, Creutzfanen und dergleichen papistische Ceremonien erfunden werden, an denen der gemain Pefel (7) noch hangt und damit Superstition (8) treibt.

[Siebtens verfaulten Meßgewänder und anderes Tuch.

Die Visitatoren empfehlen, daß der Kurfürst ein gedrucktes Mandat erlassen solle, das auf Abstellung der Mißbräuche dringe; der Bericht gibt Hinweise, was dieses Mandat zu berücksichtigen habe. Abschließend werden die bei den Pfarrern und Kirchendienern beobachteten Fehler und Mängel angesprochen:]

Fürs erst, das die Allten das merertail im Bapstumb uferzogen, nichts anders gewonet seint und gelernt haben, als Meßlesen und inen ytzt wie allten schleuchen saur wirdt unnd schwer fallen will, den newen Most der evangelischen Leer zu fassen. Die Jungen aber haben auf kainer rechtschafnen Universitet gestudiret, sonder allain in den Particular Schulen; sich wie arme Knaben erhallten unnd so baldt sie etwas allters erraicht durch die Armut gedrungen worden, sich zum Kirchendienst vor Zeit zu begeben.

[Zweitens wird auf die schlechte Besoldung der Pfarrer hingewiesen, die sich so sehr um ihren Lebensunterhalt bemühen müßten, daß sie keine Zeit hätten, zu studieren und ihren seelsorgerlichen Aufgaben nachzukommen. Die Pfarrkinder würden ungern geben, die Pfarrer seien unzufrieden und ließen sich »geizige Pfaffen« schelten. Die meisten kämen – drittens – auf nicht mehr als 40–50 Gulden im Jahr, was nicht zur Haushaltsführung ausreiche, geschweige denn dazu, Kleider und Bücher zu kaufen. Dabei seien die Kirchen der Pfalz nicht arm. Nur werde den Pfarrern eingezogener Kirchenbesitz vorenthalten, was neben anderem als Grund für ihre Misere angeführt wird.]

Dieweil dann, wie gehört, die Pfarrherrn ungelert und darzu Bauren seint unnd etwan auch Hungers leiden müssen, kombt nun ferners darzu der viert Mangl, das sy solcher stugkh halber von meniglich veracht werden.

[Dementsprechend gering sei die Kirchenzucht unter ihnen – damit sei »des Lasters Fenster geoffnet«, und ihrerseits hielten sie daher keine Zucht in ihren Gemeinden.]

Solchen grossen Jamer unnd Ellend, da sovil tausent Seelen ewiglich verderben, sollen Jnen billich alle hohe Potentaten unnd insonderheit Eur Churf. Gn[aden] lassen zu Hertzen geen [ . . . ].



(7) Pöbel, Volk.
(8) Abergläubische Praktiken.

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