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Abgewickeltes ostdeutsches Hochschulpersonal bildet eine „Zweite Wissenschaftskultur” (15. Mai 2004)

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Institute im Schatten

Für einen Teil der »Zweiten Wissenschaftskultur« – die als Vereine organisierten wissenschaftlichen Institute wie das Berliner Institut für Sozialwissenschaftliche Studien e.V. (BISS) – schlägt das HoF eine Sockelfinanzierung vor. Damit soll die Chancengleichheit mit anderen AnbieterInnen in diesem Sektor hergestellt werden. Viele dieser ForscherInnen verfügten zum Beispiel über exzellente Mittel- und Osteuropa-Kenntnisse. Geprüft werden soll außerdem eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes, um Hausberufungen an den Berliner Hochschulen zu ermöglichen. Dadurch sollen HochschullehrerInnen, die Anfang der 90er Jahre lediglich als wissenschaftliche MitarbeiterInnen eingestellt wurden, eine eigene Professur erhalten.

Für Thomas Flierl geht es allerdings nicht nur um die Reintegration abgewickelter DDR-Forscher. Er sieht nach wie vor eine ungleiche Verteilung zwischen Ost und West beim wissenschaftlichen Führungspersonal. „In den Berufungslisten, die mir vorgelegt werden, erscheinen nach wie vor wenig Ostdeutsche.“ Er führt das u.a. darauf zurück, dass bei der Besetzung von Führungspersonen die soziale und kulturelle Herkunft eine maßgebliche Rolle spielten. „Ostdeutsche verfügen aber nun mal nicht über die entsprechenden sozialen Netzwerke und den notwendigen Habitus.“

Differenzierter wird dieses Problem in der Studie beschrieben. In einem nachträglich eingearbeiteten Kapitel rekapitulieren die HoF-Forscher die Folgen des Umbaus der gesamten ostdeutschen Wissenschaftslandschaft in den letzten 14 Jahren (Der ostdeutsche Wissenschaftsumbau 1990 ff.). Darin bezeichnen sie die ungleiche Verteilung zwischen Ost und West bei der Besetzung der Führungspositionen als „gravierendes, langfristiges Hauptproblem“. Ostdeutsche befänden sich überdurchschnittlich in den geringer dotierten Positionen, in den C3-Professuren zum Beispiel sei ihr Anteil überdurchschnittlich hoch, während er bei den C4-Stellen vergleichsweise niedrig sei. In der gesamtdeutschen Wissenschaft seien lediglich 7,3% der Elitepositionen von Ostdeutschen besetzt – der Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands beträgt rund 20%.

Die Ursachen dieses Phänomens sehen die Autoren allerdings nicht in der populistisch zugespitzten These, der Westen habe den Osten einfach okkupiert und qualifiziertes ostdeutsches Personal verdrängt. Vielmehr benennen sie im Wesentlichen zwei Gründe für die mangelnde Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen an den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. Zum einen sei der »Elitenwechsel« politisch gewollt gewesen – es habe nach 1989 eben wenige Personen in Leitungsfunktionen gegeben, die nicht politisch diskreditiert gewesen seien. Zum anderen könne bei der Besetzung wissenschaftlicher Stellen nicht „eine Koinzidenz von geographischem Hochschulstandort und biografischer Herkunft der AmtsinhaberInnen“ als zwingend gefordert werden. Auch wenn nicht jeder Westimport die Erwartungen erfüllt habe, so müsse doch zugestanden werden, dass „insbesondere die Professionalitätsdefizite bei ostdeutschen Amtsinhabern ausgeprägter“ seien.

In der politischen Öffentlichkeit stießen die Studie und die Schlussfolgerungen Flierls auf ein unterschiedliches Echo. Einigkeit herrschte lediglich in der positiven Bewertung des Vorschlags, den abgeholzten akademischen Mittelbau der Ostberliner Hochschulen wieder aufzuforsten. Der Präsident der Leibniz-Sozietät, der Philosophieprofessor Herbert Hörz, bleibt jedoch skeptisch, dass diese Reintegration auch von Erfolg gekrönt sein wird. In einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland betonte er, dass viele jüngere WissenschaftlerInnen in den zurückliegenden Jahren notgedrungen ausbildungsfremd tätig gewesen seien und eine Wiedereingliederung deshalb schwierig sei.

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Quelle: Jürgen Amendt, „Verlierer der ‚Wende’. Die missglückte Integration der Ost-Berliner Wissenschaft“, Neues Deutschland, 15. Mai 2004.
Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Neues Deutschland.

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