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Eine ostdeutsche Schulaufsichtsbeamtin berichtet über ihre Erfahrungen während der Wende (1. Oktober 2003)

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Als ich kurz nach den Volkskammerwahlen im März 1990 im Bildungsministerium der DDR meine Arbeit aufnahm, fand ich kaum neue Mitarbeiter vor. Hauptsächlich die „Spitze“ war ausgewechselt worden – der Minister und seine Staatssekretäre. Sie hatten nur wenig Erfahrung auf bildungspolitischem Gebiet, konnten sich dafür aber auf den Fachverstand ihrer Mitarbeiter stützen. Ich wurde gebeten, in der Grundsatz-Abteilung sowie in der Abteilung Allgemeinbildende Schulen mitzuarbeiten. Die Arbeitsbedingungen waren für westdeutsche Verhältnisse katastrophal. So beschäftigte die Herstellung einer telefonischen Verbindung in die Hauptstadt der Bundesrepublik einen Mitarbeiter viele Stunden, wenn nicht einen ganzen Tag. Faxgeräte gab es nicht. Die Herstellung von Kopien war stark begrenzt und musste vorher angemeldet werden, da es im gesamten Ministerium nur zwei Kopiergeräte gab. Ich nahm deshalb dankbar das Angebot an, im nahegelegenen Westberliner Reichstagsgebäude (heute Deutscher Bundestag) ein weiteres Büro belegen zu können, das über eine hervorragende technische Ausstattung verfügte. Nach und nach trauten sich auch Mitarbeiter des Bildungsministeriums, die dort vorhandenen Möglichkeiten mitzunutzen.

Meine Hauptaufgaben im Ministerium bestanden zunächst darin, einmal im Rahmen der Grundsatz-Abteilung ein Konzept für Politische Bildung in den neuen Bundesländern vorzubereiten, zum anderen in der Abteilung Allgemeinbildende Schulen an einem Rahmenplan für Gesellschaftskunde, dem Fach, das die ideologisch stark belastete Staatsbürgerkunde ablöste, mitzuarbeiten. Einen beträchtlichen Teil meiner Zeit verbrachte ich allerdings damit, die einzelnen Mitarbeiter über Organisation, Strukturen und Inhalte des westdeutschen Bildungssystems aufzuklären. Das Informationsdefizit war groß.

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2. Transformation des Schulwesens nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990

Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde die Kulturhoheit der Länder bestätigt, zugleich jedoch in den Artikeln 37 und 38 die Rahmenbedingungen für die Umgestaltung des Bildungs- und Wissenschaftssystems festgelegt. Bei den wenigen schulrechtlich relevanten Regelungen des Vertrages handelte es sich vornehmlich um Übergangsbestimmungen, beispielsweise um die Anerkennung von Abschlüssen. Danach gelten die in der DDR staatlich anerkannten schulischen, beruflichen und akademischen Abschlüsse weiterhin. Die dazu notwendigen Vereinbarungen wurden von der Kultusministerkonferenz (KMK) getroffen. Die KMK erhielt auch den Auftrag, Übergangsregelungen für die Anerkennung der Lehramtsprüfungen zu erarbeiten. Um die Lehrerausbildung in der DDR möglichst reibungslos an die bundesdeutsche Ausbildung angleichen zu können, hatte noch die letzte DDR-Regierung den Wissenschaftsrat der Bundesrepublik gebeten, Vorschläge für eine Neugestaltung zu entwerfen. Im September 1990 verabschiedete die Volkskammer auf dieser Grundlage ein Lehrer-Ausbildungsgesetz, das das bundesdeutsche zweiphasige Modell – wissenschaftliches Studium und anschließendes Referendariat – berücksichtigte.

Laut Einigungsvertrag hatten die fünf neuen Bundesländer bis zum 30. Juni 1991 Zeit, um eigene Schulgesetze zu erlassen und eine Neugestaltung ihres Bildungswesens in die Wege zu leiten. Sie wurden dabei zunehmend durch westliche „Partnerländer“ personell und finanziell unterstützt – das Land Sachsen beispielsweise durch Baden-Württemberg und Bayern, Mecklenburg-Vorpommern durch Schleswig-Holstein, Brandenburg durch Nordrhein-Westfalen. In der ersten Zeit nach der Wiedervereinigung erhielten sie zusätzliche Unterstützung durch die Nachfolgeinstitution des aufgelösten DDR-Bildungsministeriums, die „Gemeinsame Einrichtung der neuen Bundesländer für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft“, die mit einem kleinen Stab ehemaliger Ministeriumsmitarbeiter gemeinsam mit westdeutschen Ministerialbeamten die Aufgabe hatte, die neuen Bundesländer in Bildungsfragen zu beraten. Die immer stärker werdende Präsenz der westdeutschen „Partnerländer“ in Ostdeutschland, machte diese Institution jedoch nach einem Jahr überflüssig.

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