GHDI logo

Martin Luthers 95 Thesen (31. Oktober 1517)

Seite 2 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


21. Deshalb irren alle Ablaßprediger, die sagen, durch den Ablaß des Papstes werde der Mensch frei von aller Strafe und selig.

22. Vielmehr erläßt er den Seelen im Fegefeuer keine einzige Strafe, die sie nach den kanonischen Bestimmungen in diesem Leben hätten abbüßen müssen.

23. Wenn irgendeinem der Nachlaß aller Strafen gewährt werden kann, dann kann er sicherlich nur den Vollkommensten, d. h. den allerwenigsten, gewährt werden.

24. Unvermeidlich wird deshalb der größte Teil des Volkes betrogen durch jenes in Bausch und Bogen gegebene, prahlerische Versprechen des Strafnachlasses.

25. Die gleiche Gewalt, die der Papst in bezug auf das Fegefeuer generell besitzt, besitzt jeder Bischof und jeder Seelsorger in seiner Diözese oder seiner Parochie im besonderen.

26. Sehr richtig handelt der Papst, wenn er den Seelen die Vergebung nicht aufgrund der Schlüsselgewalt (die ihm dafür gar nicht zusteht), sondern auf dem Wege der Fürbitte zukommen läßt.

27. Menschenlehre predigen die, die sagen: Wenn die Münze im Kasten klingt, fliegt die Seele sogleich aus dem Fegefeuer empor.

28. Sicher ist, daß, wenn die Münze im Kasten klingt, Gewinn und Habgier zunehmen können; die Fürbitte der Kirche aber steht allein im Ermessen Gottes.

29. Wer weiß überhaupt, ob alle Seelen aus dem Fegefeuer losgekauft werden wollen; bei St.Severin und Paschalis soll dies ja nicht der Fall gewesen sein.

30. Keiner kann der Aufrichtigkeit seiner Reue sicher sein, viel weniger dessen, daß er vollkommenen Nachlaß erlangt.

31. So selten wie ein aufrichtig Büßender ist einer, der in rechter Weise Ablaß kauft, d. h. äußerst selten.

32. Auf ewig verdammt wird sein samt seinen Lehrmeistern, wer seiner Seligkeit durch Ablaßbriefe sicher zu sein glaubt.

33. Außerordentlich hüten muß man sich vor denen, die sagen, der Ablaß des Papstes sei die jede Berechnung übersteigende Gabe Gottes, durch die der Mensch mit Gott versöhnt werde.

34. Denn die Ablaßgnaden betreffen lediglich die Strafen der sakramentalen Genugtuung, die von Menschen festgesetzt sind.

35. Unchristliches predigen die, die lehren, zum Loskauf von Seelen oder zum Erwerb von Beichtprivilegien sei überhaupt keine Reue nötig.

36. Jeder Christ, der wahre Reue empfindet, hat vollkommenen Nachlaß von Strafe und Schuld, auch ohne Ablaßbriefe.

37. Jeder wahre Christ, ob lebend oder tot, hat Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche; Gott gewährt ihm dies auch ohne Ablaßbriefe.

38. Dennoch soll man den Nachlaß und die Anteilgabe durch den Papst keineswegs geringschätzen, weil sie (wie ich gesagt habe) die Verkündung der göttlichen Vergebung ist.

39. Äußerst schwierig ist es selbst für die gelehrtesten Theologen, zugleich die reiche Fülle der Ablässe wie die Aufrichtigkeit der Reue vor dem Volk zu preisen.

40. Aufrichtige Reue sucht und liebt die Strafen; die Fülle der Ablässe hingegen erläßt sie und verursacht Widerwillen gegen sie, zumindest bietet sie Anlaß dazu.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite