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Ein Bildungswissenschaftler zum Reformprozess an ostdeutschen Universitäten (1999)

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Auf der Ebene der Hochschulen indes war charakteristisch, daß sich bald eine Entkopplung des zeitlichen Ablaufs von gesellschaftlichen und inneruniversitären Entwicklungen ausformte. Dies zeigte sich in einer längeren Halbwertzeit der Aufbruchsillusionen an den Hochschulen, als diese in der DDR-Gesellschaft allgemein zu beobachten war. Was für die DDR der 2. Juli (Währungsumstellung) und der 3. Oktober 1990 (Beitritt) symbolisierten – die Aufgabe von Souveränität – , das ereilte als Eingriff von außen – den Entzug von Souveränität – die Leipziger Universität mit der Entscheidung zur Abwicklung zum 2. Januar 1991 und die Humboldt-Universität mit der administrativen Absetzung ihres Rektors im November 1991.

Unabhängig vom jeweiligen Grad der Ausprägung hochschulischer Konflikt- und Protestneigungen sahen die politischen Instanzen in Berlin und Sachsen vornehmlich Insuffizienzen in den Erneuerungsprozessen. Sie suchten ihre daher folgenden Eingriffe aber auch darüber hinaus zu legitimieren:

„Von ungleich größerer Bedeutung für die zu treffenden Entscheidungen war das außerordentlich kritische Urteil weiter Teile der ostdeutschen Öffentlichkeit in Bezug auf die Situation an den Hochschulen. Diese Sicht war vor allem durch den nicht unbegründeten Eindruck motiviert, an den Hochschulen gäbe es einflußreiche Kräfte, die diese als Bollwerk gegen die demokratische Erneuerung im Osten Deutschlands nutzen wollten.” (H.J. Meyer 1997, 512)

So Hans Joachim Meyer, DDR-Bildungs-, dann sächsischer Wissenschaftsminister, rückblickend. Aus diesen Wahrnehmungen resultierten die externen Interventionen, mit denen die Administrationen steuernd einzugreifen versuchten. „Das ostdeutsche Hochschulwesen”, schreibt der Soziologie Hansgünter Meyer (1993, 73), wurde, „statt es von den politischen Vereinnahmungen des DDR-Regimes zu befreien“, „nachträglich überwölbt: Es wurde als wissenschaftliches System verworfen, und es wurde als Verortung einer abzuschaffenden wissenschaftlichen Elite wahrgenommen.”

Doch bewirkte selbst dies keinen durchgreifenden Mentalitätswechsel, wie den Zeugnissen auswärtiger Beobachter zu entnehmen ist – etwa wenn Dieter Simon meint, zu den in den Osten transferierten Mißständen des westdeutschen Hochschulsystems

„gesellen sich noch jene aus dem Totalitarismus stammenden ostspezifischen Defizite, die sich im Bereich des Hochschulwesens vor allem in autoritärer Gesinnung, Gängelungsfreude und ständigem Schielen nach dem staatlichen Befehl, in Unverständnis für demokratische Verfahrensweisen und Spott für die parlamentarischen Institutionen, in Abscheu vor dem Selbstverwirklichungs-Hedonismus und in irrationalem Respekt vor den ‚Volksmassen’ ausdrücken.“ (Simon 1998a, 396)

Die staatsseitigen Eingriffe in den Umbau der Hochschulen ähnelten sich landerübergreifend in ihrer Instrumentierung. Neben den Abwicklungen waren dies: der Erlaß von Gesetzen und Verordnungen wie von autoritativen Ad-hoc-Anweisungen; die Bildung von Personalüberprüfungs-Kommissionen zusätzlich zu den bereits hochschulintern initiierten; das Instrumentarium des Arbeitsrechts incl. der Regelungen des Einigungsvertrages, die Teile des bundesdeutschen Kündigungsschutzrechts außer Kraft setzten; schließlich die Hochschulfinanzierung und die damit zusammenhängenden Hochschulstrukturentscheidungen.

Den dieserart umgesetzten Umbau der ostdeutschen Hochschulen kennzeichneten dann ambivalente Kompromisse, die Unverträglichkeiten zusammenführten. Das betraf sowohl Zieldefinitionen, Strukturierung und Instrumentierung wie Prozeßvollzug. Vorrangig zu beobachten war es am zentralen Strang des Hochschulumbaus: dem Personalumbau, bestehend aus Personalstruktur-Neugestaltung und Personalüberprüfung.

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