GHDI logo

Die Lehre einer praktischen Spiritualität – Predigt von Johannes Tauler (14. Jahrhundert, veröffentlicht 1515/16)

Seite 2 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Und sprach unser herre: ‘du hast vil unkúschekeit getriben und dich verunkúschet’. Das sprach er vor in einem andern capitel: ‘das ist alles das du mich, den lebenden burnen, hast gelossen und hast dir eine cisterne gegraben, und mich gelossen hast’.

In disen cisternen fulet und wirt stinkende das drin getragen ist: das torret, das ist mit disen sinnelichen ufsetzen; so blibet in dem grunde hofart, eigenwillikeit, hertmůtikeit und swer urteil, swere wort und gelos und berespunge des nechsten, nút us minnen noch mit senftmůtikeit, sunder do es noch stat noch zit enhet. Maniges wenet eime anderen sin hus löschen und verburnet das sin. Ja hette er drú húser mit sinen herten swinden worten und gelessen, so sprechent si, kumet ein arm kint zů in: ‘nein, es ist ein trunffeht mensche’; kumet zů den andern ein mensche: ‘nein, es ist ein begin?’. Wol hin, ir rechten cisternen: wer der lebende burne ie geqwollen in úwern dúrren grunt, so enwurde niemer an úch funden underscheit der personen, denne alles gelich wore götliche minne in dem grunde her us qwellende; do enwer kein verkleinen noch kein swer urteil noch hertmůti keit. Dise fulunge wachsent alle in den cisternen.

Och sint die cisternen dise vernúnftigen mit iren hohen worten und hohem verstande. Den einen den genůget mit iren gůtschinenden werken unde schine, den andern mit irem hohen verstande. Wie wenent ir das es denne gan súlle an der zit als die grossen winde koment rúschende und alle ding úber einander vallent und die plagen koment, die so grúwelich und engstlich sint? Denne wirt man solichen jamer sehent der ungelöiplich ist. Die nu vil schone geschinen hant mit grossen namen und mit grossem verstonde und worent von grossen behenden worten und mit valscher schinender heilikeit und nút wores lebendes grundes in in ist — alles in getragen, alles cisternen —: denne an dem ende so kumet der túfel mit einer ackes und slecht einen slag derdurch. Al zehant verstúbet und verflúget alles das do was, das ein trahen nút do blibet: es ist alles verblasen und vervarn al ze mole, wan do enwas nút inne. Es worent fule wasser das in den cisternen was. Si wolten etwas schinen und út sin, und do enwas nút inne.

Kinder, wa wenent ir das man dis alles vinden súlle? Dis gedenkent als ir koment an en welt, das ich úch dis geseit han, und ich průfe vil wol das dise valsche schine und wise nu al der gemeine lǒf aller der geistlicher lúte verblibent mit uswendiger gůtschinender sinnelicher blinder wise, und wenne das weltliche e lúte und etliche witwen verre dise lúte fúr lǒffent, verre, alze verre. Und ob disen Got von siner erbermde des gan das si an irem ende behalten werdent, so súllent si doch als unmessig vegfúr liden als lange als es Got geordnet hat, und darnach súllent si als wunderlichen verre von der nacheit Gotz sin hie hindenan verre.

Kinder, sehent fúr úch, des bit ich úch durch Got. Nement úwers grundes war und sehent fúr úch, wo mit ir umbe gont, und sind senftmůtig und demůtig und lossent úch under Got und under alle creaturen, wan Got der klaget himel und erden und allen creaturen úber úch. Dise himele das sint alle himelsche herzen, wan ein ieklich gůt mensche der ist ein himel Gotz, und dise selben die tragent den himel in in; mer doch so enkoment si nút drin. Und das ist den vertůmten ir meiste pin, das si das bekennent in in und si niemer drin komen ensúllent.

Und als wir ietzunt růrten das unser herre sprach durch den propheten: ‘ir hant úch verunkúschet und du bist einem frömden und dinem minner nach gegangen; du hast mich versmohet und bist eime frömden dime minner nach gegangen; doch noch kum zů mir, und ich wil dir geworen rúwen geben, und denne wolt ich dir in giessen lebendig wasser, ob du gentzlich zů mir kemest’.

Nu merkent und sehent die unbegriffenlich unsprechelich barmherzikeit und gůti Gotz, und wie gerne er uns húlfe ob wir wolten, und rette gerne mit uns als frúnt mit frúnde, ob wir iena zů im wolten. Und sprach vor unser herre: ‘unde tůst du dis nút, so můs ich mit dir kriegen an dem gerichte’. Mit im ze kriegende, das ist ein sörgklich krieg, wan er nimet do oberhant.

Kinder, hùtent úch das er denne nút enspreche das ir von sinen schoffen nút ensint. Wan sine schaf die hant sine stimme gehört und ensint inkeime frömden nach gegangen, als er selber sprach. Weles ist nu dise unkúschekeit die unser herre sprach der du vil getriben hast? Das ist in einem geistlichen sinne, ob es nút groblich enist, do du zů dem minsten bist verbliben uf den bilden. Und dem frömden dem du nach bist gangen, dinem minner, das sint alle die frömden bilde und die fúrwúrffe durch die du zů mir soltest sin gegangen: mit den hast du dich verunkúschet. Doch nu kum zů mir, und ich wil dich enphahen und giessen in dich lebende wasser.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite