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Die FDP, die Partei des Neoliberalismus (11. Mai 2006)

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Nichts ist dem deutschen Neoliberalismus so schlecht bekommen wie sein oppositionelles Dasein seither. Mit der aggressiven Vermarktung war es Westerwelle gelungen, seine Partei als »neue« FDP zu etablieren. Eine Weile schaute man hin. Die schnörkellose Analyse, die dezisionistische Radikalität, die Veränderungseuphorie – das alles hob sich spektakulär von der lähmenden Atmosphäre am Ende der Regierung Kohl ab. Doch wohin sollten Westerwelle und seine Partei mit ihrer Energie und Radikalität ohne Gestaltungsmacht? Ohne die Chance zur Umsetzung klang das Reformpathos schnell hohl. Die Zwänge des Regierens hätten vielleicht als Korrektiv wirken können. So aber entwickelte sich der machtlose Neoliberalismus von einer leidenschaftlichen Reformperspektive zu einem selbstzerstörerischen Impuls. Die Klarheit verwandelte sich in Hochmut, die Machtlosigkeit in Allmachtsfantasien. Je weniger praktische Politik die Liberalen mitgestalten konnten, desto lauter wurde ihr Anspruch, desto schärfer wurden die propagandistischen Töne. Die Hoffnung auf den baldigen Machtgewinn klang jetzt rabiat. Der Neoliberalismus wurde zynisch, maßlos und unseriös. Das »Projekt 18« brachte 2002 den Absturz. Bis heute hat sich die Partei davon nicht erholt.

Dabei darf sich die FDP ohne weiteres als inspirierende Kraft der Reformpolitik betrachten, wie sie in Deutschland seit etwa Mitte der neunziger Jahre betrieben wird. Die Schäubleschen Sparpakete, die letzten Ansätze einer Steuerreform, die Einführung des demografischen Faktors bei der Rente zeigten in ihre Richtung. Es war ausgerechnet die rot-grüne Regierung, die bald der liberalen Melodie folgte: Einstieg in die Privatisierung der Altersversorgung, Eichels frühe Konsolidierungspolitik, später dann die unter dem Druck der Krise erzwungenen Hartz-Reformen. Nur eine an ihrem Oppositionsdasein langsam verzweifelnde FDP wollte nicht wahrhaben, dass Schröder Reform-Anstrengungen im liberalen Sinne unternahm – »neoliberal«, wie die Kritiker meinten.

Seit Westerwelles Aufbruch standen die liberalen Reformvorstellungen unter dem Verdacht, ihre Verfechter interessierten sich nicht für deren soziale Konsequenzen. Dass man statt einer »Staatswirtschaft der guten sozialen Absichten« eine »Marktwirtschaft der guten sozialen und ökologischen Ergebnisse« wolle, hörte sich gut an. Doch wer mit so viel beißendem Spott über die Ideologisierung der Begriffe »Gemeinwohl« oder »Sozialstaat« polemisierte wie Guido Westerwelle, weckte damit auch Zweifel, dass soziale Verantwortung für ihn überhaupt noch eine Rolle spielte. Worum ging es den Liberalen? Sollten die Reformen den robusteren, krisenfesten Sozialstaat hervorbringen? Oder waren sie Hebel für dessen Abschaffung?

Selbst Schröder konnte die soziale Absicht seiner Reformpolitik nicht glaubhaft machen. Er scheiterte daran, dass die Betroffenen zwischen Erneuerung und Abbau sozialer Sicherung nicht mehr unterscheiden konnten. Die radikale Reformpropaganda hatte das Publikum hellhörig gemacht. Inzwischen klebt längst nicht mehr nur auf den Vorschlägen der Liberalen ein »neoliberales« Etikett. Angela Merkels Gesundheitsreform galt bis in die eigenen Reihen hinein als »neoliberal«. Und selbst Oskar Lafontaine wittert inzwischen »neoliberale Strömungen« – in der Linkspartei! Neoliberalismusverdacht als Paranoia?

Einer Oppositionspartei mit Spaß an der Provokation, wie es die Liberalen nun seit Jahren sind, scheint das neoliberale Label dennoch nicht zu schaden. Stolz verweist die FDP auf ihr Wahlergebnis. Doch das ist nur die eine Seite. Erst am Ergebnis der Union zeigt sich, dass der Neoliberalismus in Deutschland nicht mehrheitsfähig ist. Dass ein strauchelnder Steuer-Professor zum Inbegriff sozialer Kälte werden konnte, ist ohne die Geschichte der »neuen« FDP kaum zu erklären.

Gibt es eine Reformpolitik, die das Rubrum neoliberaler Kälte loswerden könnte und dennoch erfolgreich wäre? Das ist die Frage an die Große Koalition. Solange sie ernstlich nach Antworten sucht, bleibt der Neoliberalismus in der Opposition.



Quelle: Matthias Geis, „Liberale ohne Neo“, Die Zeit, 11. Mai 2006.

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