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Auswirkungen einer Großen Koalition auf das Politikgeschehen (22. November 2005)

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Handwerker der Macht

Eben darin liegt die unzweifelhafte Berechtigung der Bildung einer großen Koalition. Sie exekutiert auch formell, was sonst lediglich verdeckt und unter tausend taktischen Umwegen informell vonstatten geht. Doch was wird das Ziel, was der Kitt dieses Bündnisses sein? Allianzen brauchen das, wenn sie Handlungsfähigkeit und Bestand herstellen wollen: ein spezifisches Ethos, einen politischen Fluchtpunkt, eine verbindende Norm. Bündnisse werden zusammengehalten entweder durch einen starken gemeinsamen ideologischer Gegner oder eben eine affine Wertehaltung, auch durch den Mythos einer kollektiv geteilten großen Vergangenheit, natürlich: durch eine ähnliche soziale Interessenstruktur.

Die neue Koalition hat kaum etwas von alledem. Der gemeinsame Stolz auf die ungewöhnlichen Leistungen der alten Bonner Republik, des katholisch-sozialdemokratischen Sozialstaats hätte ein solcher Bezugspunkt sein können. Doch haben sich die Politikereliten beider Parteien bizarrerweise unisono von dieser keineswegs schmählichen Vergangenheit gelöst, ja sie nachgerade verächtlich gemacht. Leicht wird es daher nicht, aber unumgänglich ist es doch, dass die große Koalition nicht nur eine Gegenwartsallianz zweier sich misstrauisch beäugender Partner ist, sondern Ziele vereinbart, die weiter in die Zukunft reichen und so etwas wie ein Sinnzentrum besitzen. Pure Realpolitiker pflegen sich darüber lustig zu machen, aber eben über diesen Mangel an Begründungsfähigkeit scheitern sie deshalb in schöner Regelmäßigkeit.

Hier nun kommt der Bundestag ins Spiel. Was wird aus ihm in den nächsten vier Jahren der Elefantenhochzeit werden? Das Ansehen der Abgeordneten ist denkbar gering; ihr Einfluss auf die großen Entscheidungen ebenfalls. Jedenfalls schreiben die publizistischen und wissenschaftlichen Experten seit Jahren über den Machtverlust des Parlaments. In der Ära Kohl fielen die Würfel in exklusiven Koalitionsrunden; während der Kanzlerschaft Schröders stellten Expertenkommissionen die inhaltlichen Weichen. Die Abgeordneten hatten nur noch abzunicken, was die exekutiven Oligarchen unter sich ausmachten. Und der Prozess der Entparlamentarisierung, so die feste Überzeugung der meisten hauptamtlichen Exegeten des Politischen, dürfte unter einer großen Koalition erst recht und noch forciert weitergehen. In dieser Allianz werde es allein auf die Arrangements der Merkels, Münteferings, Kauders, Strucks, Stoibers und Steinbrücks ankommen, nicht auf das, was die übrigen gut 600 Abgeordneten für richtig oder falsch halten.

Ganz abwegig ist die düstere Prognose über die zunehmende Entdemokratisierung des bundesdeutschen Parlamentarismus nicht. In den nächsten Wochen werden sich zwei Parteien zu einer gouvernementalen Allianz zusammenschließen, die das politisch bekanntermaßen keineswegs anstrebten, die überdies unterschiedliche materielle Interessen vertreten, kulturell weiterhin stark differieren, in verschiedenen sozialen Räumen dieser Gesellschaft präsent und verwurzelt sind. Bei einer großen Koalition wird kein soziokulturell zusammenhängendes Lager binnenintegriert, sondern hier werden sehr heterogene Herkünfte, Deutungen und Perspektiven schwierig gebündelt. Will eine solche Koalition erfolgreich sein, dann müssen die gegensätzlichen Parteien einen konstruktiven Kommunikationskanal für Kooperation, Kompromiss und Konkordanz finden. Der Erwartungsdruck der Wahlbürger ist nicht gering. Sie wollen, dass effizient und lösungsbezogen regiert wird. Die beiden Volksparteien müssen also eine rationale Verhandlungsstruktur finden, um zügig zu handlungsorientierten Konsenspunkten zu finden, bei denen keine der beiden Parteien das Gesicht verliert.

Die Logik solcher Verhandlungsstrukturen aber ist eindeutig: Besonders demokratisch geht es dort nicht zu, darf und kann es auch nicht. Würde man unter den idealtypisch optimalen Demokratiebedingungen – uneingeschränkte Transparenz, kritisch intervenierende Öffentlichkeit, beteiligungsintensive Basis – einen großkoalitionären Ausgleich suchen, dann könnte man es auch gleich sein lassen, weil ein vernünftiges Ergebnis so nicht zu erzielen ist. Der demokratische Marktplatz, die Volksversammlung, die öffentlichen Foren gegensätzlicher Parteien prämieren Brandreden, Rhetorikdonner, die laut vorgetragene Überzeugungstreue, die Devotion vor den Essentials der eigenen Kerntruppen. Der Diskurs in der demokratischen Öffentlichkeit also fördert das Pathos der Grundsatzfestigkeit, die unerschütterliche Fixierung auf die Beschlusslage. Die Einsicht in die Motive des Anderen, der Willen, auf den Verhandlungspartner zuzugehen, die Fähigkeit, von starren Ursprungspositionen zu lassen, dogmatische Fesseln aufzulösen, den Ausgleich zu suchen – all das entsteht am wenigsten in der öffentlichen Arena fundamentalistisch-demokratischer Auseinandersetzung.

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