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Die neue Linke (25./26. Juni 2005)

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Ein junger Ostdeutscher, der sich Anfang der neunziger Jahre aufmachte, um die West-Linke neben SPD und Grünen kennen zu lernen, begegnete nicht nur kritischen Geistern, sondern auch vielen allzu vertrauten Zumutungen wieder. Er traf Orthodoxe, denen die reine Lehre wichtiger war als ein Blick aus dem Fenster. Er begegnete Misstrauischen, die hinter jeder Ecke einen Nazi witterten und auch ihn unverzüglich nationalistischer Gesinnungen verdächtigten. Ältere Herren und Damen erzählten entzückt von Heldentaten aus ihrer rebellischen Jugend: Damals, als sie anfingen, keck über den Rasen zu laufen. Wenn man ihnen die subversive Haltung nicht glauben mochte, reagierten sie unwirsch.

Gefühlslinke umarmten ihn ungebeten und hießen ihn in einer Gemeinschaft willkommen, in der alle gleichsinnig unausgesprochene Überzeugungen zu teilen schienen. Dass er die Frage, ob man den Kauf südafrikanischer Weintrauben mit seinem Gewissen vereinbaren könne, für unwichtig hielt, verstanden sie nicht. So verschieden sie waren, so großen Wert legten sie auf ihre Unterschiede. Aber beinahe einhellig legten sie Wert darauf, mit den Spießern und Funktionären von der PDS nichts gemein zu haben. Die ostdeutschen Sozialisten dienten als Gegenbild, um sich der eigenen Vortrefflichkeit zu versichern.

Wenn nun Oskar Lafontaine und Gregor Gysi gemeinsam gegen Rot-Grün antreten, dann ist das – es mag uns gefallen oder nicht – eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Linken und in der Geschichte der Einheit. Da verbinden sich nicht allein zwei alte Gegner Helmut Kohls zu einer merkwürdigen Ost-West-Allianz. Die Sozialisten außerhalb der SPD erleben eine Renaissance. Jene Kräfte, denen man es am wenigsten zugetraut hätte, lauter Totgesagte, führen mit altem Personal ein neues Stück auf.

Auf die bloße Ankündigung hat die Öffentlichkeit bisher mit Exorzismusversuchen reagiert, mit einer Art Abwehrzauber, in dem Schrecken und Faszination gemischt sind. Während die einen das neue Linksbündnis zu einer anachronistischen Veranstaltung und mithin einer Totgeburt erklären, meinen die anderen, die Zeit sei reif für eine wahre, eine echte Linke, aber eben die bekämen wir ja leider nicht.

Dabei spricht einiges dafür, dass mit dem Bündnis die Anpassung des Parteiensystems der Republik an neue Verhältnisse beginnen könnte.

Bereits im September 2003 hat Oskar Lafontaine in einem Gedankenspiel erwogen, ob es nicht vernünftig wäre, wenn die SPD in den neuen Ländern und die PDS sich zu einer ostdeutschen SPD vereinigten. Diese sei dann für die Sozialdemokratie, was die CSU für die Christdemokraten: regional begrenzt und ein wenig schärfer, ideologischer. Der Vorschlag, von Sozialdemokraten rasch als Schnapsidee verworfen, zeigte vor allem, wie wenig Lafontaine vom Osten verstand. Immerhin blieb er hartnäckig, sprach im Sommer der Hartz-IV-Hysterie auf einer Kundgebung in Leipzig – ohne jedoch den erwünschten Effekt zu erzielen. Die Montagsdemonstrationen im Osten waren zum großen Teil spontan von lokalen Koalitionen organisiert worden, um Volkszorn gegen die Politik insgesamt zu artikulieren. „Wir sind das Volk", die glückliche Losung aus dem Kampf gegen eine Diktatur, wird unter demokratischen Verhältnissen rasch zur antiparlamentarischen Parole. Wütende Gesellen ins politische System zu integrieren ist eine tradierte Aufgabe linker Parteien, SPD und Grünen, die Autoren der Hartz-Gesetze können deren Gegner naturgemäß nur schwer erreichen.

Mit Hartz IV begann eine Zeit der Aufregung, ohne die das Bündnis weder zustande kommen noch Wahlerfolge erreichen könnte. Nach dem mühsamen Abschied von Revolutionsabsichten oder Strategien zur Systemüberwindung bedarf es der Erregung und des besonderen Gefühls, dieser Augenblick sei der Zeitpunkt der Entscheidung. Ohne den Eindruck, das große Ganze drohe Schaden zu nehmen, noch sei Umkehr möglich, kann heute links von Rot-Grün keine sozialistische Organisation gedeihen.

Die Erfolge der PDS, die im Dezember 1991 nur fünf Prozent der Ostdeutschen wählen wollten, beruhen wenigstens zur Hälfte auf solchen Stimmungen. Mit der „Rote-Socken-Kampagne" hat die CDU 1994 dafür gesorgt, dass im Osten der Eindruck entstehen konnte, man stehe im Kulturkampf, müsse zwischen Schwarz und Weiß wählen. Die PDS brauchte als Symbol ostdeutschen Trotzes nur noch selbst gestrickte rote Söckchen zu verteilen – und war als politische Kraft dauerhaft etabliert.

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