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Die Grünen nach dem Machtwechsel (21. November 2006)

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In Berlin war dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit eine gestutzte, fügsame PDS lieber als Grüne, die mit üppigen 13 Prozent Mitgift daherkamen und in der Berliner Herbstsonne die aufgehübschte Braut gaben. Deren ganzer Auftritt versprach jedoch vor allem eins: Rosenkrieg. Diese Entscheidung Wowereits kann Langzeitfolgen haben – zumindest dürfte es jene beflügeln, die für die Grünen Perspektiven jenseits der Sozialdemokratie suchen.

Die politischen Verhältnisse deuten auf Dreier-Bündnisse als Alternative zur großen Koalition im Bund. Insofern folgt die Fraktionsspitze mit ihrem noch verschämten Zwinkern Richtung FDP einer schlichten Notwendigkeit. Das Verhältnis zur FDP war viel zu lange von irrationaler Feindseligkeit geprägt, die auf persönlichen Aversionen zwischen Westerwelle und Fischer gründete.

Die Grünen könnten Pfadfinder auf dem Weg zu neuen Mehrheiten sein. Könnten. Im Moment sieht es nicht danach aus. Misstrauen diktiert das Geschehen bei ihnen. Es blinkt und zwinkert in viele Richtungen. Und manches deutet darauf hin, dass die ausstehenden Klärungen in neue alte Flügelkämpfe münden. Die Frage der strategischen Positionierung ist zu einer Frage des internen Machtkampfes geworden. Es sind gute Leute. Nur: Keiner scheint stark genug, die Führung zu übernehmen.

Leisten kann die Partei sich solche Kabale nicht, und auch die jungen Leute, die in Scharen neulich zum Zukunftskongress pilgerten, haben andere Erwartungen: zum Beispiel, wie die Partei die Zukunft gestalten will. Die Agenda vergangener Jahre von Homo-Ehe bis Staatsangehörigkeitsrecht ist weitgehend abgearbeitet. Als „soziales Gewissen" der Gesellschaft taugt diese Partei der urbanen Mittelschichten nicht wirklich. Ihre Spitzenleute sind wenig sensibel, was die Nöte einer Krankenschwester oder eines Monteurs angeht. Was kommt also? Als Die Zeit kürzlich mit der „Rückkehr der Ökologie" titelte, war von den Grünen keine Rede. Warum auch? Das Thema Ökologie wird der Parteipolitik enthoben. Es ist zu wichtig geworden. Die Welt wacht auf. Der fortschreitende Klimawandel wird zur existenziellen, auch ökonomischen Herausforderung.

Für die Partei wird es in dieser Situation allmählich zur Hypothek, dass der Generationenwechsel nach der Bundestagswahl praktisch abgewürgt wurde. Ausgerechnet die Partei, die so viel auf ein jugendliches Erscheinungsbild gibt, misstraut den Jungen, wenn es um die Macht geht. Die Gründergeneration hält verbissen die Schlüsselpositionen, als gälte es, Privatdomänen vor Erbschleichern zu schützen. Wie lange das Interregnum dauert, hängt vom Ausgang der nächsten Bundestagswahl ab. Dann müssen die Grünen sich endgültig wiegen und messen lassen. Übrigens: Die Plastik auf dem Kaminsims im Berliner Grunewald war 1998 ein Geschenk der Grünen zum 50. Geburtstag ihres Fraktionsvorsitzenden. Der hieß Joschka Fischer.



Quelle: Dietmar Huber, „Kein Kapitän, kein Kurs, kein Ziel“, Süddeutsche Zeitung, 21. November 2006, S. 2.

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