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„People’s Car auf neuen Wegen” (29. Januar 1948)

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Das Werk hat auch einen englischen Controller, wie dies ja heute mancherorts üblich ist. Und aus seinen Worten konnte man schließen, daß der »People’s Car« – wie der Volkswagen auf Englisch heißt – auf neuen Wegen ist. Denn nicht länger wollen, wie bisher, die Besatzungsbehörden Hand auf die gesamte Produktion legen. Es sollen nun endlich auch für die Deutschen Autos zur Verfügung stehen und zuvörderst für den Export. Dies alles beispielsweise so: In diesem Monat werden 1100 People’s Car geboren werden. 400 davon gehen an die englischen Behörden. 300 werden exportiert (und es sieht so aus, als dränge man sich im Ausland, zumal in Holland, danach, einen Kleinwagen, der nur acht bis neun Liter Brennstoff auf hundert Kilometer verbraucht, zu fahren). 300 Wagen werden den deutschen Stellen zugeteilt; wohlverstanden: den »Stellen«. Fragt man aber: »Und wann kommt der einzelne kraftfahrberechtigte Zivilist an die Reihe?«, dann geht ein Lächeln durch die ganze Fabrik, ein fassungsloses Lächeln auf eine so naive Frage. »Kaufen Sie schwarz!«

»Wie? Schwarz kaufen? Aus der Fabrik?«
»Ausgeschlossen! Wir haben immer an englische Stellen geliefert. Ganz korrekt! Bei uns sind höchstens Ersatzteile, doch niemals ganze Autos abhandengekommen.«
»Und wo soll ich schwarz den Volkswagen kaufen?«
»Keinen Volkswagen, aber einen People’s Car oder auch Beetle (Käfer) genannt! Wir wissen zuverlässig, daß man sie in Hamburg dann und wann bekommt. 30 000 bis 40 000 Mark pro Stück ...

Den Gast, der soeben noch »bonfortionös« im funkelnagelneuen, wenn auch grünlich-grauen Beetle über das kilometerweit sich dehnende Fabrikgelände gefahren ist, packt das Mißvergnügen, da er nach all den Auskünften schließen muß, daß Autos – sogar die billigsten – nicht nur zum Fahren, sondern auch zum Repräsentieren dienen. Und da er eher der Ansicht ist, daß der verlogene Name »Volkswagen« verschwinden soll, weiß er nicht, welchen neuen Titel er vorschlagen soll, falls dies erlaubt ist –»Office Car« oder »Behörden-Wagen«. Nun, die Zukunft wird auch dieses lehren! Und was das Umtaufen betrifft – die »Stadt des Volkswagens«, dieser undeutsche, ... robothafte Name, ist bereits verschwunden. »Wolfsburg« heißt jetzt die Siedlung am andern Ufer des Kanals, die, wie man einst trompetete, die »schönste, modernste Stadt der Welt« werden sollte. Fehlgeblasen! Potemkin könnte hier Schutzpatron sein, hätte nicht der Regen den billigen, eiligen Glanz längst abgewaschen.

Auch hat die neue Durcheinander-Ordnung der Verhältnisse es mit sich gebracht, daß die Stadt des Volkswagens zur Fabrik des Volkswagens in keiner unmittelbaren Beziehung mehr steht. Das heißt: wenn die Fabrik, zu deren Vorteil einst die Siedlung errichtet wurde, heute jemandem, der für das Werk wichtig ist, dort Wohnung besorgen möchte, so ist es nicht gewiß, daß dem so sein wird. Es ist übrigens eine Stadt, darinnen keiner ein Haus besitzt. Eine Mieterstadt. Und sollte es wahr sein, daß der Hausbesitz die Menschen verdirbt, dann ist es auch wahr, daß Besitzlosigkeit die Häuser verdirbt. Nur eins sieht hoffnungsvoll aus: daß einige Volkswagen durch die Straßen fahren, wenn auch mit dem Schild »Probefahrt«. Und welchem hoffnungsvollen Unternehmen, das in Deutschland heute beginnt, könnte man dieses Schild nicht umhängen?



Quelle: Jan Molitor [Josef Müller-Marein], „‚People’s Car‘ auf neuen Wegen“, Die Zeit, 29. Januar 1948.

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