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Ulrich Scheuner, Bemerkungen zum rechtlichen Status der „Displaced Persons” in Deutschland (14./15. Dezember 1948)

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7. Neben dieser grundsätzlichen Stellungnahme sind noch folgende Einzelheiten hervorzuheben, in denen das Gutachten nicht ganz zuzutreffen scheint:

a) Die Zahl der DP in Deutschland wird heute mit 775.000 angegeben. Ich weiß aber nicht, ob diese Zahl DP und sonstige Ausländer angibt, oder nur anerkannte DP.

b) Die heute in Deutschland befindlichen DP müssen nur mehr teilweise als durch den Krieg vertrieben angesehen werden. Die jüdischen DP kamen 1946 (rund 100.000 Menschen) herein, nach Wiederaufleben antisemitischer Strömungen in Osteuropa, die Zahl der tschechischen Flüchtlinge wird gegenwärtig mit etwa 30-40.000 angegeben. Ferner sind auch sonstige politische Flüchtlinge (Ungarn, Jugoslaven, Angehörige der UdSSR) in Deutschland. Insgesamt ist aber auch der früher nach Deutschland gekommene Teil der DP praktisch infolge der Ablehnung des jetzigen Regimes ihrer Heimat als politische Emigranten anzusehen. Es wäre doch an der Zeit, energischer zu betonen, daß für die nach dem Kriege erfolgten Wanderungen Deutschland nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann, sondern die Kontrahenten von Teheran, Yalta und Potsdam.

c) Falsch ist es, davon zu sprechen, daß die DP, auch wenn sie nicht zurückkehren wollen, ihre Staatsangehörigkeit aufgegeben haben. Es gibt keinen einseitigen Verzicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern nur die Entlassung aus dem Staatsverband. Die UdSSR betont aber gerade, daß diese Personen ihr zwangsweise wieder zugeführt werden müßten, sie denkt also nicht daran, sie zu entlassen. Die DP sind also nicht Staatenlose, sondern nach wie vor Rumänen, Polen usw.

d) Es trifft (S. 4) nicht zu, daß die DP nicht auswandern. Im Gegenteil läuft ein großes Resettlement-Programm der IRO, das über das Auswandererlager Bremerhaven abgewickelt wird, und laufend jetzt bereits größere Mengen DP wegschafft. Es ist mit einer wesentlichen Abnahme ihrer Zahl in den nächsten zwei Jahren zu rechnen. Die mangelnde finanzielle Kraft der IRO steht dem doch nicht so entgegen, da auch andere Quellen helfen, z.B. für die Juden die Jewish Agency (Joint Distribution Committee).

e) Wenn auf die estnische Kulturautonomie verwiesen wird, ist das richtig. Es ist aber falsch, daß in Lettland die gleiche Lage bestanden hätte. Die Situation der Deutschen dort beruhte nur auf tatsächlichen Maßnahmen, bzw. Verordnungen des Ministeriums, die zurückgenommen werden konnten, sie war also ungesichert, und wenn die Situation auch nach manchem Kampf befriedigend war, so kann sie in Lettland nicht als Musterregelung bezeichnet werden. Sie wurde auch nach 1934, als ein halbdiktatorisches Regime in Lettland sich begründete, ungünstiger.

Die Vorlage von Prof. Scheuner aus Assenheim diente dem Ausschuss für staats- und verwaltungsrechtliche Fragen des Länderrats auf seiner Sitzung am 14. Und 15. Dezember 1948 als Grundlage seiner Beratungen.



Quelle: BArch, Z 1/100, Abschrift; abgedruckt in Udo Wengst und Hans Günther Hockerts, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, S. 545-48.

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