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Republikflucht von Jugendlichen sowie jugendliche Rückkehrer und Zuziehende in der Zeit vom Januar bis September 1960 (10. November 1960)

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Diese Vernachlässigung der politisch-ideologischen Arbeit unter der gesamten Jugend hat viele unklare Auffassungen und negative Argumente der Jugendlichen selbst zur Folge.

Solche Argumente sind:

„Aufbau des Sozialismus heißt Vertiefung der Spaltung,
Mein Vaterland ist Deutschland,
Was die Entwicklung in Deutschland betrifft, so machen das die Russen und Amerikaner ja doch unter sich aus,
Die Kapitalisten müssen doch besser sein, sonst brauchten wir sie doch nicht einholen wollen,
Bei den Schwierigkeiten die es gibt werden wir es nie schaffen,
So schlimm wie ihr es macht ist die Entwicklung in Westdeutschland ja doch nicht,
Die Bildung des Staatsrates bedeutet, daß Walter Ulbricht nun die ganze Macht an sich gerissen hat,
Wozu noch Vorschläge über Abrüstung, Friedensvertrag usw. die Amerikaner machen ja doch was sie wollen,
In Westdeutschland herrscht wirklich Freiheit und Demokratie, dort kann man wenigstens machen, was man will“.
(das wird besonders mit dem Hören des Senders Luxemburg, der Jazzmusik in Verbindung gebracht usw.)

Die bereits genannte Überprüfung der Ursachen der Republikflucht hat auch mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß von Eltern, älteren Arbeitern im Betrieb, aber auch von Partei- und Jugendleitungen der Ernst dieser Situation unterschätzt wird.

So brachten mehrere Wirtschaftsfunktionäre und auch Arbeiter in der Maschinenfabrik in Halle zum Ausdruck, daß die Republikflucht von Jugendlichen eine Modekrankheit sei die vorübergeht, bzw. daß sich die Jugendlichen die Hörner ruhig abstossen müssen, da sie eines Tages doch wieder nach Hause zurückkämen.

Im Montagewerk Halle erklärte der Leiter der Abteilung Arbeit „was kann man eigentlich dagegen tun? Mein Junge hört auch nicht mehr auf mich und außerdem werden sie auch bei uns schon mit 18 Jahren mündig, da haben die Eltern ja nichts mehr zu sagen.“

Daß diese Unterschätzung tatsächlich vorhanden ist, geht auch aus einer Einschätzung über die Republikflucht von 33 Jugendlichen im Kreis Fürstenwalde hervor, wo als die Ursache der Republikflucht folgendes festgestellt wird:

9 gingen zu Verwandten, 7 wegen eingeleitetem Ermittlungsverfahren, 6 wegen Angst vor Strafe, 3 zu den Eltern, 3 zu den Ehepartnern, 3 wegen beabsichtigter Eheschließung und 2 wegen Familienzwistigkeiten.

Daraus ist aber nicht ersichtlich, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Jugendlichen die Republik verläßt, weil sie persönlich keine Perspektive in unserer Republik sehen und der Meinung sind, daß sie im Westen alle Freiheiten und Möglichkeiten haben, sich ungehindert entwickeln zu können.

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