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Morgan Philips Price über die Arbeiterräte und den Kapp-Putsch (März-April 1920)

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Köln, 27. April

Ich bin soeben aus dem Ruhrtal zurückgekommen und muss meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass das Ruhrgebiet für einen weiteren Arbeiteraufstand reif ist, diesmal besser organisiert und seinem Charakter nach entschlossener als der, den die Reichswehr niedergeschlagen hat. In Münster, Wesel, Dorsten, Essen, Bochum, Dortmund und einem halben Dutzend weiterer Industriezentren bewahren die Maschinengewehre und die Bajonette der Reichswehr eine prekäre Waffenruhe. Hier wie überall hat die Rote Armee [„Red Army“ im Original; Anm. der Übers.] als sichtbare Kraft aufgehört zu existieren. Aber die Organisation, die sie in den ersten Apriltagen ins Leben gerufen hat, ist stärker denn je und außer Reichweite des Militärs. In vielen kleinen Städten südlich der Ruhr kontrollieren heute die Arbeiter praktisch die lokalen Regierungen. [ . . . ] Ein zentrales Komitee, das in allen Städten des Ruhrtals Repräsentanten hat, ist hier an der Macht und wartet auf den richtigen Augenblick. [ . . . ] Die deutschen Militärbehörden schätzen, dass weniger als zehn Prozent der Waffen im Besitz der Arbeiter infolge der jüngsten Kämpfe abgegeben worden sind. Diese Schätzung wird von einzelnen Arbeitern bekräftigt, die mir ohne Zögern erzählten, dass sie Gewehre versteckt haben. [ . . . ] Die Moral der Reichswehr in den westfälischen Städten ist schlecht. [ . . . ] Die Gefreiten gehen auf der Straße ohne zu salutieren an ihren Offizieren vorbei – etwas, das in Deutschland schier undenkbar ist. Die Mehrzahl der Arbeiter, die in der Roten Armee kämpfen, kann man selbst mit größter Fantasie keinesfalls als Bolschewiken bezeichnen. [ . . . ] Hauptmann Otto Schwink, der ehemalige Verbindungsoffizier des deutschen Generalstabs in Köln, erzählte mir, die letzte Revolution hätte zweifelsohne nur als Protest der Arbeiterklasse gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch begonnen. Seither hätte sich die Stimmung unter den Arbeitern an der Ruhr jedoch gewandelt und weit nach links ausgeschlagen, teilweise aufgrund der Brutalität, mit der die Reichswehr den Aufstand niedergeschlagen habe, teilweise wegen der Schwäche, die die Regierung Ebert hat erkennen lassen, als sie die bisherigen Übergriffe von rechts abwehren wollte. [ . . . ] Alles deutet darauf hin, dass in Deutschland ein weiterer Putsch von Seiten der Junker dieses Land näher an den wirklichen Bolschewismus heranbringen wird als alles bisherige.



Quelle: Morgan Philips, Dispatches from the Weimar Republic, Versailles and German Fascism. London, Sterling, Virginia: Pluto Press, 1999, S. 72-75.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Katharina Böhmer

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