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Kaiser Wilhelm II über seine Abdankung (Rückblick 1922)

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Dem Reichskanzler war erwidert worden, mein Entschluß müsse erst reiflich erwogen und formuliert werden. Alsdann werde er dem Kanzler übermittelt werden. Als einige Zeit später diese Übermittelung stattgefunden hatte, kam die überraschende Antwort: ... mein Entschluß komme zu spät! Der Reichskanzler hatte von sich aus meine – noch gar nicht erfolgte – Abdankung sowie den Thronverzicht des überhaupt nicht befragten Kronprinzen kurzweg verkündet. Er hatte die Regierung an die Sozialdemokraten abgegeben und Herrn Ebert als Reichskanzler berufen. – Das alles war gleichzeitig auch durch Funkspruch verbreitet worden.

Die ganze Armee las es mit. So wurde mir die Entscheidung über mein Bleiben oder Gehen, über das Niederlegen der Kaiserwürde und die Beibehaltung der preußischen Königskrone kurzweg aus der Hand genommen. Die Armee wurde durch den fälschlichen Glauben, daß ihr König sie im kritischen Zeitpunkte verlassen hätte, aufs schwerste erschüttert.

Betrachtet man das Verhalten des Reichskanzlers Prinz Max von Baden im ganzen, so sieht man: Erst feierliche Erklärung, sich mit der neuen Regierung zum Schutze vor den Kaiserthron zu stellen; dann Unterdrückung der Ansprache, die in der Öffentlichkeit günstig hätte wirken können; Ausschaltung des Kaisers von jeder Mitarbeit; Preisgabe der Person des Kaisers durch Aufhebung der Zensur; kein Eintreten für die Monarchie in der Abdankungsfrage; dann Versuche, den Kaiser zur freiwilligen Abdankung zu bewegen, und schließlich Verkündigung der Abdankung durch Funkspruch über meinen Kopf hinweg. Diese ganze Entwicklung zeigt das staatsgefährliche Spiel, das Scheidemann, der den Kanzler ganz in der Hand hatte, getrieben hat. Er hat seine Ministerkollegen über seine wahren Absichten im unklaren gelassen, den Prinzen von einer Stufe zur andern getrieben unter schließlicher Berufung darauf, daß die Führer die Massen nicht mehr in der Hand hätten. So hat er den Prinzen dazu gebracht, den Kaiser, die Fürsten und das Reich preiszugeben, und ihn dadurch zum Zerstörer des Reiches gemacht. Dann stürzte Scheidemann den schwachen prinzlichen „Staatsmann“.

Die Lage nach Eintreffen des Funkspruches war schwer. Zwar waren Truppen im Antransport nach Spa begriffen, um die ungestörte Weiterführung der Arbeit im Großen Hauptquartier zu gewährleisten. Aber die Oberste Heeresleitung war nunmehr der Auffassung, daß man nicht mehr unbedingt auf ihre Zuverlässigkeit rechnen könne, falls von Aachen und Cöln her aufrührerische Soldaten heranrücken sollten und unsere Leute dadurch vor die Frage gestellt würden, gegen eigene Kameraden kämpfen zu müssen. Daher empfahlen mir meine sämtlichen Berater, das Heer zu verlassen und einen neutralen Staat aufzusuchen, um einen solchen „Bürgerkrieg“ zu vermeiden.

Ich habe einen furchtbaren inneren Kampf durchgekämpft. Auf der einen Seite bäumte sich in mir als Soldaten alles dagegen auf, meine treugebliebenen tapferen Truppen zu verlassen. Auf der anderen Seite stand sowohl die Erklärung der Feinde, mit mir keinen für Deutschland erträglichen Frieden schließen zu wollen, wie die Behauptung meiner eigenen Regierung, daß nur durch mein Fortgehen ins Ausland der Bürgerkrieg zu vermeiden sei.

In diesem Kampfe stellte ich alles Persönliche zurück. Ich brachte bewußt meine Person und meinen Thron zum Opfer in der Meinung, dadurch den Interessen meines geliebten Vaterlandes am besten zu dienen. Das Opfer ist umsonst gewesen. Mein Fortgehen hat uns weder günstigere Waffenstillstands- und Friedensbedingungen gebracht, noch den Bürgerkrieg abzuwenden vermocht, dagegen die Zersetzung in Heer und Heimat in verderblichster Weise beschleunigt und vertieft.

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