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Bundespräsident Johannes Rau fordert eine Globalisierungspolitik (13. Mai 2002)

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Aus der Geschichte wissen wir: Nichts, keine technische Erfindung, keine politische Entwicklung, keine gesellschaftliche Veränderung führt automatisch und für alle ausschließlich zum Schlechteren oder zum Besseren. Auch bei der Globalisierung kommt es darauf an, was wir aus den neuen Möglichkeiten machen.

Viele fragen heute aber: Kann man denn überhaupt etwas machen? Ist die Globalisierung nicht unbeeinflussbar, ist sie nicht wie ein Naturereignis, dem wir ausgeliefert sind?

Dann wäre es tatsächlich sinnlos, auch nur zu überlegen, wie man gestaltend eingreifen kann und wer das tun sollte.

Nein, die Globalisierung ist kein Naturereignis. Sie ist von Menschen gewollt und gemacht. Darum können Menschen sie auch verändern, gestalten und in gute Bahnen lenken.

Man muss aber genau hinsehen: Es gibt großartige neue Chancen – und es gibt handfeste Interessen. Es gibt Leute, die bestimmen – und es gibt Menschen, die haben nichts zu sagen. Es gibt mehr Wohlstand und mehr kulturellen Austausch – und es gibt Länder und Regionen, die werden abgehängt.

Wir können und wir müssen fragen: Wer sind – bisher – die Gewinner, wer sind – bisher – die Verlierer der Globalisierung? Wo erschließt uns die Globalisierung Zugang zu fremden Kulturen? Und wo führt sie zu einem undefinierbaren Einerlei der Lebensstile, dazu, dass alle das Gleiche essen und dieselben Filme sehen? Kommen wir uns nicht etwa zu nah? Gehört nicht auch Abstand zu den Fortschritten der Zivilisation, die Möglichkeit, Distanz zu halten?

Von der Globalisierung sind wir alle betroffen – noch bevor alle genau wissen, wie sie eigentlich funktioniert. Darum müssen wir zu begreifen versuchen, was geschieht und warum es geschieht. Wir müssen die Globalisierung als politische Herausforderung verstehen und politisch handeln. Damit wir die Globalisierung gestalten können, brauchen wir neue politische Antworten.

[ . . . ]


III.

Was heute Globalisierung genannt wird, hat historische Wurzeln. Heute wird nicht mit einem Mal alles ganz anders und doch erleben wir mehr als nur die Fortsetzung des Gehabten.

Wir erleben Veränderungen von neuer Qualität. Wir sehen, dass sich internationale Beziehungen in bisher nicht gekannter Weise verdichten. Wir erleben das in der Wirtschaft, in der internationalen Arbeitsteilung. Wir erleben das im Verkehr und in der Kommunikation, in der Begegnung mit fremden Menschen und Kulturen, in Umweltfragen und in Rechtsfragen. Wir erleben, wie internationale Netzwerke entstehen.

All das zeigt sich besonders deutlich an den Finanzmärkten: Der Handel mit Wertpapieren zwischen den Industrieländern war 1998 dreißig mal so hoch wie 1980. Ausländische Direktinvestitionen, also der Kauf oder die Gründung von Unternehmen in einem anderen Land, haben in den neunziger Jahren um vierhundert Prozent zugenommen. Das bedeutet, dass immer mehr Unternehmen immer stärker international agieren.

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