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SPD-Vorsitzender Oskar Lafontaine kritisiert die Globalisierung (25. Juni 1997)

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In einer Marktwirtschaft, auch wenn sie globalisiert ist, werden Wohlstand und technischer Fortschritt, Wachstum und Beschäftigung nicht durch den Staat vorangebracht, sondern vor allem durch den Markt, genauer gesagt, durch den Wettbewerb der privaten Unternehmen. Wir sind für den Leistungs- und Ideenwettbewerb der Unternehmen. Auf nationaler wie auf internationaler Ebene sollte alles unternommen werden, um einen funktionsfähigen Wettbewerb sicherzustellen. Neben diesem Wettbewerb der Unternehmen gibt es den sogenannten Standortwettbewerb der Nationalstaaten. Bei diesem Wettbewerb versuchen die Staaten, Kapital und Arbeitsplätze im eigenen Lande zu halten oder ins eigene Land zu holen. Dabei spricht unter ökonomischen und politischen Gesichtspunkten nichts gegen einen Leistungswettbewerb um die internationale Effizienz der Staatsverwaltung, um das beste Bildungssystem, die innovativste Forschungslandschaft, oder um die leistungsfähigste öffentliche Infrastruktur. Denn all das schafft mehr Wohlstand und verbessert die Lebensbedingungen der Menschen.

Problematisch dagegen ist das, was man als einen Abwertungswettlauf der Nationalstaaten nennen könnte. Um Kapital und Arbeitsplätze im Land zu halten oder ins eigene Land zu holen, werden in den Industriestaaten Reallöhne, Unternehmenssteuern und Sozialstandards immer weiter nach unten getrieben, und der Umweltschutz wird in sträflicher Weise vernachlässigt. Für die weniger entwickelten Staaten bedeutet dies: ihre Chance, im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung ihre sozialen und ökologischen Standards zu verbessern, wird geringer. Diese traditionelle Wirtschaftspolitik weist einen merkwürdigen Widerspruch auf: Während sich die Wirtschaft immer stärker internationalisiert, fällt die Politik zurück in altes nationalstaatliches Denken. Auf Globalisierung der Märkte reagiert sie mit einer Renationalisierung der Politik. Ich nenne das eine verhängnisvolle realwirtschaftliche Abwärtsspirale, an deren Ende es keine Gewinner geben wird, sondern nur Verlierer. Der realwirtschaftliche Abwertungslauf der Nationalstaaten ist ökonomisch und politisch gesehen ein Irrweg. Denn dieser Wettlauf verzerrt und stört den internationalen Leistungswettbewerb der Unternehmen. Er führt zu rezessiven Entwicklungen, wachsender Arbeitslosigkeit und steigender Staatsverschuldung. Er verhindert eine optimale Allokation der Ressourcen. Er untergräbt die ökonomischen, sozialen und ökologischen Grundlagen unserer Gesellschaft. [ . . . ]

Auch die Politik des Lohndrucks ist ökonomisch gesehen ein Irrweg, denn die Senkung der Reallöhne schwächt die Binnennachfrage, fördert rezessive Tendenzen und verstärkt den Zwang, immer mehr exportieren zu müssen. Wenn alle Industrieländer nach der gleichen Philosophie handeln, dann kann diese Rechnung aber schon nach der einfachen Zahlenmechanik nicht mehr aufgehen. Es ist unmöglich, daß alle Staaten gleichzeitig Exportüberschüsse erzielen, denn der Export des einen Landes ist immer der Import des anderen. Und die Summe der Leistungsbilanzen aller am Welthandel beteiligten Länder ist notwendigerweise immer Null. Deshalb kann die Rechnung mit einer durch staatliches Dumping geförderten aggressiven Exportpolitik nicht aufgehen. Der realwirtschaftliche Abwertungslauf der Nationalstaaten ist keineswegs die zwangsläufige Folge der Globalisierung. Er ist das Ergebnis falscher politischer Weichenstellungen. Und diese Weichenstellungen können korrigiert werden. [ . . . ]

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