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Rede von Friedrich Julius Stahl gegen eine Abschaffung der preußischen Verfassung (1853)

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Wäre die Verfassung der Art, daß diese nach Majoritäten stimmende Versammlung das Uebergewicht über den König hätte, so würde ich den Herrn Antragstellern Recht geben; ist diese Versammlung aber der Autorität des Königs tief untergeordnet, dann kann in der That unmöglich etwas Anstößiges darin gefunden werden, daß sie nach Stimmenmehrheit ihre Beschlüsse faßt. In der alten ehrwürdigen Reichsverfassung wurde im Kurfürsten-Kollegium, im Fürstenrath und in den Grafen-Kurien nach Majoritäten entschieden; ist diese Verfassung deshalb revolutionair zu nennen?

Allein der ganze Antrag bei solcher Begründung bewegt sich in der That auf einem rein wissenschaftlichen Gebiet. Alles, was heute gesagt worden ist „für" und „gegen", konnte vollständig eben so bei jeder philosophischen oder juristischen Doctor-Disputation gesagt werden. (Bravo!)

Ich sage zum größten Theil! Allein wir stehen hier nicht an der Frage, ob die Verfassung eingeführt werden soll; wäre das die Frage, dann würde ich allerdings schwerere Bedenken haben, als meine Herren Vorredner, aus dem früheren Zustande der unumschränkten Monarchie in den der eingeschränkten überzugehen, während das ganze Material dazu, die Gliederung der Societät, die geschichtlichen Traditionen fehlen. Ich würde am wenigsten dazu meine Zustimmung geben, gegen die frühere Monarchie die jetzige Verfassung, wie sie daliegt, einzutauschen. Allein es handelt sich nicht darum, sie einzuführen, sondern sie abzuschaffen. Die Verfassung besteht bereits drei Jahre, es sind Verhältnisse durch sie geregelt, Gesetze auf sie gebaut, Rechte durch sie erworben; ist es denn nun ein so Leichtes, sie auf einmal auszujäten? Haben die Herren Antragsteller sich z. B. nur das Eine wohl überdacht, wollen sie die Rechte der evangelischen und der katholischen Kirche, welche die Verfassung zusichert, auch mit ausstreichen; glauben Sie, daß das großen Anklang im Lande finden werde, oder wollen Sie darüber noch vorher besonders verhandeln und festsetzen, und durch eine solche Debatte, um mich des Ausdrucks des Herrn Antragstellers*) zu bedienen, die Sonde nicht zwar in eine schmerzliche Wunde, aber doch in die empfindlichsten Theile des Staatskörpers senken? Haben Sie sich auch wohl überlegt, was als allgemeiner staatsrechtlicher Zustand eintreten wird, ob vielleicht der Vereinigte Landtag? Dieser hat sich selbst aufgegeben im Hinblick auf eine künftige Landesvertretung; daß er von selbst wieder erstehe, möchte ich nicht behaupten, soll er also zufolge jener seiner bedingten Erklärung nun unbedingt aufgehört haben und nichts an seine Stelle treten? Die Verfassung Preußens, sie mag gut oder schlecht sein, hat nun einmal eine Geschichte, und was eine Geschichte hat, ohne Weiteres aufzugeben, dazu ohne bestimmte Vorschläge des Ersatzes, möchte ich nicht „le contraire de la révolution," sondern vielmehr die Contre-Revolution nennen! (Ruf: Sehr wahr!)


* des Fürsten Reuß in der vorgängigen Rede.

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