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Hamburger Lehrerin Louise Solmitz über die Machtergreifung Hitlers (Januar/Februar 1933)

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Wir waren wie berauscht vor Begeisterung, geblendet vom Licht der Fackeln gerade vor unsern Gesichtern und immer in ihrem Dunst, wie in einer süßen Wolke von Weihrauch. Und vor uns Männer, Männer, Männer, braun, bunt, grau, braun, eine Flut von einer Stunde und 20 Minuten. Im zuckenden Licht der Fackeln meinte man nur einige Typen zu sehen, die immer wiederkehrten, aber es waren an 22–25 000 verschiedene Gesichter!

Neben uns hob ein kleiner Junge von 3 Jahren immer wieder die winzige Hand »Heil Hitler, Heil Hitlermann!«

Ein SA-Mann hatte morgens zu Gisela gesagt: »Jetzt heißt es nicht mehr ›Heil Hitler‹, jetzt heißt es ›Heil Deutschland‹.« »Juda, verrecke«, wurde auch mal gerufen und vom Judenblut gesungen, das vom Messer spritzen solle. [Späterer Zusatz: Wer nahm das damals ernst?!]

Der Eimsbütteler Turnhalle gegenüber (schade, daß wir es nicht sahen) stand der Führer der Hamb. Nationalsozialisten – und neben ihm, die Hand an der Mütze, der Führer des Hamb. Stahlhelms, Korvettenkapitän Lauenstein, der vor wenigen Monaten von SA-Leuten niedergestochen wurde (10 Minuten von da, wo er jetzt stand) und nun den Vorbeimarsch der SA grüßte, wie der SA-Führer den der Stahlhelmer.

Was für Augenblicke!!

Welch ein schöner Gedanke.

Die Nationalsozialisten haben viel mehr Nachwuchs und Jugend als der Stahlhelm. Hübsche, frische, lustige Jungens im Zuge.

Als alles vorüber war, war es doch noch nicht vorüber, denn den letzten SS-Leuten schloß sich eine harmlos vergnügte Menschenmenge mit Fackelresten an und machten ihren eigenen Fackelzug, froh des Augenblicks.

Im übrigen wurden am Kaiser-Friedrich-Ufer die Fackeln zusammengeworfen, nach einem Marsch vom Lübecker Tor her. Es wurde ½24 bis alles vorüber war.

Einigkeit, endlich, endlich und wie lange?! Da wir nun doch einmal Deutsche sind.

Was muß Hitler empfinden, wenn er die 100 000 Menschen marschieren sieht, die er rief, denen er die nationale Seele einhauchte oder wieder aufrichtete, Menschen, die bereit sind, für ihn zu sterben. Nicht nur so dahergesagt, nein, in bitterstem Ernst. [ . . . ]

Und diese Menschenfluten in Hamburg sind ein geringer Bruchteil nur der Hitlerleute im ganzen Reich! [ . . . ]





Quelle: „Louise Solmitz: Auszüge aus den Tagebüchern“, abgedruckt in Werner Jochmann, Hg., Nationalsozialismus und Revolution: Ursprung und Geschichte der NSDAP in Hamburg; 1922-1933. Frankfurt: Europäische Verl.-Anst., 1963, S. 421-24.

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