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Ernst Bloch, „Hitlers Gewalt” (April 1924)

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So ist nicht gering anzuschlagen, wie Hitler die Jugend hat. Man unterschätze nicht den Gegner, sondern stelle fest, was so vielen eine psychische Tatsache ist und sie begeistert. Gewiß auch zeigen sich von hier aus mancherlei Zusammenhänge mit dem Linksradikalismus, solche demagogischer, formaler, wenn auch nicht inhaltlicher Art. Dem bayerischen Pöbel wurde durch diese Verwandtschaft (zumeist nur eine windfängerische Kopie des Sozialismus, auf primitive Instinkte abgestimmt) der Fahnenwechsel erst recht erleichtert. Bei den Kommunisten, wie bei den Nationalsozialisten wird wehrhafte Jugend aufgerufen; hier wie dort ist der kapitalistisch-parlamentarische Staat verneint, hier wie dort wird die Diktatur gefordert, die Form des Gehorsams und des Befehls, der Tugend der Entscheidung statt der Feigheiten der Bourgeoisie, dieser ewig diskutierenden Klasse. Es ist vor allem der Typus Hitler und derer, die nach ihm sich bilden, charakterologisch und formal stark revolutionär. Desto erkennbarer freilich auch sind die Ziele dieser Schar, trotz aller Verworrenheit, nur der völlig gegenrevolutionäre Willensausdruck versinkender Schichten und ihrer Jugend. Schon die zwanzigtausend Dollars der Nürnberger Industrie zeigen an, wie hier die Bourgeoisie sich gar nicht bedroht fühlt, wie sie der neuen, scheinbar kapitalfeindlichen Staatsmystik ohne Schreck gegenübersteht. Engels nannte den Antisemitismus den Sozialismus der dummen Kerls, wobei das nicht-jüdische Finanzkapital und vor allem das Grundkapital vortrefflich gedeiht. Der Sozialismus des Kavaliers, der patriarchalisch-reaktionäre Antikapitalismus, ist ein noch viel größeres Mißverständnis oder vielmehr ein offener Betrug, um mittels des bloßen Gegensatzes zum Finanzkapital den sehr viel größeren Gegensatz zum Sozialismus zu verdecken. Völkisch, statt international, romantisch-reaktionäre Staatsmystik statt des sozialistischen Willens zum Absterben des Staates, zur Herabsetzung einer Maschinerie auf die Organisation des Unwesentlichen, Autoritätsglaube statt der in allem echten Sozialismus latenten letzthinigen Anarchie – dieses sind unvereinbare Gegensätze des positiven Wollens, stärker als die scheinbaren Verwandtschaften der Form und der gemeinsamen Verneinung des Gegenwartsstaates. Othmar Spann, der österreichische Soziologe, ein kleiner Kopist der österreichischen Staatstheologen des Vormärz, suchte dieser Art dem Nationalsozialismus seinen Begriff zu schaffen; und was herauskam, war vom Sozialismus so verschieden wie die romantische Staatsvergötterung von dem Satz des jungen Engels: »Das Wesen des Staates wie der Religion ist die Angst der Menschheit vor sich selber.« Hitler also und die Taboriten um ihn her sind zwar eine revolutionäre Sekte, aber von einer echt deutschen Affinitätslosigkeit ihres Impetus zu der eingeborenen Richtung; den eingeborenen Ideen des revolutionären Willens. Das ist bei den romanischen Fascisten nicht der Fall, wo gerade die Demokratie genug Blut und Kampftradition in sich hat, wo also der Revolutionswille bürgerlicher Jugend, ihr Imperialismus, höchstens die französische Revolutionsarmee, aber niemals die Ritter idolisch voranstellen würde. In Deutschland nur ist die bürgerliche Klasse, auch in ihrem kräftigsten Exponenten, so instinktlos, daß sie ihre Ideologie von Metternichs Gnaden bezieht, vom Urheber der Karlsbader Beschlüsse und Wächter der heiligen Allianz.

Wohin also wird diese Unruhe noch treiben? Dreierlei trennt sich ab, gesondert zu betrachten, und ja auch bereits mit sehr verschiedenem Tonfall behandelt. Unten treibt das kleinbürgerliche Pack, wie es von Rot zu Weiß überlief und sich gern so hämisch als begriffslos hetzen läßt. Darüber steht der Stoßtrupp Hitlers und seiner Offiziere, gute, kräftige Jugend, roh und von dem scheußlichen Hintergrund der Nachläufer infiziert, aber im ganzen reinen Willens. Von der Börsenzeit, der Depression des verlorenen Krieges, der Ideallosigkeit dieser stumpfen Republik angeekelt. Hitler selbst hat hier in der bürgerlichen Jugend eine durchaus unbürgerliche Bewegung entzündet oder wenigstens angeblasen, eine gewisse asketische Energie geformt, die sich immerhin vom Stumpfsinn der ersten deutschen Kriegsbegeisterung, auch von dem Oberlehrerpathos der gewesenen Vaterlandspartei um einige Grade, auch um einige Qualitäten unterscheidet. Sehr verräterisch aber ist zum Dritten wiederum die nationalsozialistische Praxis und Ideologie. Sie sucht den Bourgeois durch den Ritter zu vertreiben und erlangt nicht mehr, als daß sich der Bourgeois durch die jungen Ritter erst recht geschützt und konserviert fühlt. Und auch der Ritter selbst – er ist zwar menschenhafter als der Bourgeois, aber zurzeit noch unwirklicher als dieser, noch abstrakter und noch unklarer den Durchbruch in die abstrakte Wirklichkeit verhindernd. Hitler, Hitlerismus, Fascismus, ist die Ekstase bürgerlicher Jugend: dieser Widerspruch zwischen Kraft und Bourgeoisie, zwischen Ekstase und dem leblosesten Nationalismus macht die Bewegung zum Spuk. Der wird nicht realer durch die mitgeführten feudalen Gespenster, durch die Allianz von kräftig gegenwärtiger Begeisterung mit längst versunkenen Ritterträumen oder altgermanischem Volkskönigstum aus dem zehnten Jahrhundert. Immerhin trägt die Hitlerjugend zurzeit die einzige revolutionäre Bewegung in Deutschland, nachdem das Proletariat durch die mehrheitssozialistischen Führer um seine eigene, um die einzig gültige, widerspruchsfreie Revolution gebracht worden ist. Der Fascismus in Deutschland und der gesamten außerrussischen Welt ist gleichsam der schiefe Statthalter der Revolution, ein Ausdruck dessen, daß die soziale Lage auf keinen Fall statisch ist; die Jugend der Bourgeoisie selber spürt und hält noch den Prozeß. Dieser sonderbare Zustand wird voraussichtlich solange dauern, bis ein Erstarken des Proletariats aus der Unruhe das falsche Bewußtsein vertreibt. Bis ein lebendiger Begriff auch in den Fascismus vorstößt und das trübrevolutionäre Moment darin endlich in die Linie konkreter Revolution, konkreter Vermenschlichung des Lebens einspielen läßt.



Quelle: Ernst Bloch, „Hitlers Gewalt“, in Das Tage-Buch 5 (12. April 1924) Heft 15, S. 474-77; abgedruckt in Ernst Bloch, Gesamtausgabe, Band 4: Erbschaft dieser Zeit, S. 160-64. © Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main, 1962.

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