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Hilde Walter, „Frauendämmerung?” (1931)

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Da ist die erfolgreiche Oberschicht unsrer vielgefeierten Pionierinnen, die in vorgerückten Jahren als Abgeordnete und höhere Beamte, als Führerinnen großer Berufsgruppen auf ein wirtschaftlich gesichertes Alter rechnen können. Sie mögen einmal berichten, in welchem Lebensalter sie in den wirtschaftlichen Wettbewerb eingetreten sind, wieviel Geld in den Aufstieg gesteckt werden mußte, bis sie in den kritischen Jahren nicht mehr von Vorgesetzten und Mitarbeitern abhängig waren, die jede alternde Frau als Arbeitskraft ablehnen. Da sind die jungen Akademikerinnen, die ihre Anstellung als „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ nur bekamen, weil sie nebenbei als perfekte Stenotypistinnen zu brauchen sind. Das Heer der weiblichen Angestellten, die zur Behauptung einer Stellung mit hundertfünfzig Mark Monatsgehalt einen Lebensstandard aufrechterhalten müssen, der einem Einkommen von zweihundertfünfzig Mark entspricht. „Zusätzliche Leistung“ in irgendeiner Form wird meist stillschweigend aufgebracht.

Ganz nebenbei werden die arbeitenden Frauen als Gesamtheit auch noch gern für gewisse Betriebsunfälle verantwortlich gemacht. Wenn der tägliche Arbeitsrhythmus durch zeitraubende Auswirkungen zarter Beziehungen innerhalb des Betriebes einmal durchbrochen wird, schreit alles nach der Beseitigung des störenden weiblichen Elements. Als ob nicht betriebsfremde Verwirrungen der Gefühle die männliche Arbeitsfähigkeit ebenso stark lahmlegen könnten. Leider hat die Betriebswissenschaft bisher noch nicht ergründet, wieviel produktive Leistungssteigerung durch die arbeitenden Frauen in der Verbindung von Beruf und Liebe erreicht werden kann.

Die Wahrheit über Lebens- und Arbeitsbedingungen der heutigen Frau ist zum Teil in den Veröffentlichungen der Berufsverbände zu finden. In einer neuen Erhebung des Afa-Bundes über „Das Arbeiten an Schreibmaschinen“ mußte festgestellt werden, daß die meisten Stenotypistinnen und Maschinenschreiberinnen nach zehn- bis fünfzehnjahrelanger Berufsarbeit völlig ausgepumpt sind. Aber die besten Enqueten und wertvollsten Monographien erlangen nicht die gleiche Publizität wie der ewige Optimismus, der im Namen des gesamten Geschlechts an sichtbarer Stelle verzapft wird. Wenn zum Beispiel die Rede-Elevinnen der Frau von Kardorff als neue weibliche Jugend auftreten, um die „hohe politische Aufgabe der Frau“ erneut zu entdecken, kann man sich über die entsprechende männliche Reaktion nicht wundern.

Es ist höchste Zeit, mit der Fiktion von der Einheitsfront aller arbeitenden Frauen aufzuräumen. Die laute Propaganda für den vagen Begriff Frauenarbeit schlechthin mischt sich peinlich mit dem Triumphgeschrei über längst errungene „Siege“ und zerstört nur den guten Willen der Gegenseiten. Wenn dieselben Intensitäten von den Frauen in aller Stille innerhalb der einzelnen Berufsgruppen zur Aktivierung ihrer Kollegen beiderlei Geschlechts aufgebracht würden, ließen sich wahrscheinlich bessere Resultate für die Arbeitsbedingungen aller Beteiligten erzielen.



Quelle: Hilde Walter, „Frauendämmerung“, Die Weltbühne 27 (7. Juli 1931), S. 24-26; nachgedruckt in Die Weltbühne – Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918-1933. 27 Jahrgang 1931. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag, 1978, S. 24-26.

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