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Lola Landau, „Kameradschaftsehe” (1929)

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Wenn aber der Mann von heute immer noch die Frau von gestern sucht, sein Geschöpf, die anschmiegsame Gefährtin, so wird er bitter enttäuscht sein, sie nicht mehr zu finden.

Die Ehe und ihr Wert als Gemeinschaftszelle ist krisenhaft bedroht. Denn noch haben sich neue ethische Ideen nicht entzündet. Was ist heute erlaubt? Fast alles. Aber was ist wirklich gut? Was ist böse? Die Warnungssignale der Hemmungen sind gefallen. Überall aber bemerkt man Verworrenheit, Ziellosigkeit, ein qualvolles Suchen und dazwischen das ohnmächtige Lächeln der Leichtfertigkeit.

Der amerikanische Jugendrichter Lindsey hat in seinem Buch „Kameradschaftsehe“ den Versuch unternommen, aus diesem Chaos die Ehe in einer neuen Form zu retten. So unmöglich sich auch die genaue Übertragung seiner Reformvorschläge auf unsere europäischen Verhältnisse anwenden lässt, so ergeben sich doch fruchtbare Anregungen aus seiner sozialkritischen Betrachtungsweise. Lindsey möchte die Kameradschaftsehe als zweite öffentlich legalisierte Eheform neben der Dauerehe einführen. Kameradschaftsehe bedeutet in seinem Sinne die gesetzliche Verbindung von zwei jungen Menschen, die in den ersten Jahren durch bewusste Geburtenkontrolle Kinder vermeiden, um sich ernsthaft zu prüfen, ob ihre Charaktere harmonisch für die Dauer zusammenpassen.

Ist der erste Liebesrausch verflogen, und haben sich die jungen Leute in ihren Erwartungen getäuscht, so kann diese Kameradschaftsehe auf leichteste Weise geschieden werden. Es genügt schon die Übereinkunft der Gatten, um eine Lösung zu ermöglichen. Auch fällt bei der Scheidung der neuen Ehe jede Unterhaltsverpflichtung fort, da ja eine Verantwortung für Kinder nicht vorliegt und die Ehefrau ihren Beruf weitergeführt hat. Leben aber die beiden Menschen glücklich miteinander, so können sie ihre Kameradschaftsehe nach einer gewissen Probezeit in eine Familienehe umwandeln und ihren Wunsch nach Kindern erfüllen.

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Die Ehe der Zukunft wird vielleicht die Kameradschaftsehe sein, aber in einem viel weiteren Sinne, wie Lindsey sie sieht. Sie wird nicht nur eine kinderlose Probeehe der Jugend, sondern die immer wachsende Aufgabe eines vollen Lebens bedeuten. Sie wird in anderer Form ihre ursprüngliche Idee der Gemeinschaft wieder aufrichten, zur fruchtbaren Zelle im großen Zellenstaat wachsen. Sie soll die neue Frau mit wissendem Blick, mit gereiftem Herzen dem Manne als Kamerad vereinen, zwei freie Persönlichkeiten, die auf demselben Wege auf ein großes Ziel zumarschieren, und der Gleichtakt ihrer Schritte soll dann ein einziger Rhythmus sein.



Quelle: Lola Landau, „Kameradschaftsehe“, Die Tat 20, II (1929), S. 831-35.

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