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Arnold Schönberg, „Mein Publikum” (1930)

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Ich muß es für möglich halten, daß das italienische Publikum mit meiner Musik nichts anzufangen wußte. Aber das Bild eines Konzertes, in welchem gezischt wurde — ich habe es in fünfundzwanzig Jahren so oft gesehen, daß man mir glauben darf — war stets dieses: Im vorderen Drittel des Saales ungefähr wurde wenig applaudiert und wenig gezischt, die meisten saßen teilnahmslos, viele standen umgedreht und blickten erstaunt oder belustigt in den hinteren Teil des Saales, wo es lebhafter zuging. Dort überwogen die Applaudierenden; es gab weniger Teilnahmslose und einzelne Zischer. Am meisten Lärm, Applaus sowie Zischen aber kam immer aus dem Stehparterre und von den Galerien. Dort wurde der Kampf geführt durch Beeinflußte oder Beauftragte von Sachverständigen.

Jedoch ich hatte niemals den Eindruck, daß die Zahl der Zischer besonders groß war. Es klang niemals voll wie ein präzis gesetzter Akkord guten Beifalls, sondern wie Solisten, die ohne Verbindung untereinander, heterogener Herkunft und Bildung, homogen nur insofern wirkten, als ihre Geräusche die Richtung erkennen ließen, aus der sie kamen.

So und nicht anders habe ich das Publikum gesehen, wo es nicht, wie heute bei meinen älteren Werken, applaudiert hat. Aber nebst sehr hübschen Briefen, die ich hie und da erhalte, kenne ich das Publikum noch von einer anderen Seite her. Mögen zum Schluß hier einige kleine erfreuliche Erlebnisse erzählt sein: Während des Krieges, gerade bei einer Ersatzkompagnie eingeteilt, wurde ich, der Gefreite, dem es oft recht schlecht erging, einmal von einem frisch eingetroffenen Feldwebel auffallend gut behandelt. Als er mich nach der Übung ansprach, hoffte ich für meine militärischen Leistungen Anerkennung zu finden. Aber zu meiner Überraschung galt sie meiner Musik. Der Feldwebel, im Zivilberuf Zuschneider, hatte mich erkannt, kannte meinen Lebensweg, viele meiner Werke und machte mir damit noch größere Freude als mit einem Lob meines Exerzierens (auf welches ich allerdings nicht wenig eitel war!) Zwei andere solcher Begegnungen ereigneten sich ebenfalls in Wien: das eine Mal, als ich wegen eines versäumten Zuges in einem Hotel übernachten mußte, und das andere Mal, als mich ein Taxi zu einem Hotel führte, erkannten mich, das erste Mal der Nachtportier, das andere Mal der Chauffeur durch den Namenszettel meines Gepäcks. Beide versicherten begeistert, die Gurrelieder gehört zu haben. Wieder einmal in Amsterdam in einem Hotel sprach mich ein Lohndiener als alter Verehrer meiner Kunst an: er hatte unter meiner Leitung in Leipzig in den Chören der Gurrelieder mitgesungen. Aber die hübscheste Geschichte zum Schluß: Vor kurzem, wieder in einem Hotel, fragte mich der Fahrstuhlführer, ob ich es sei, der den Pierrot lunaire geschrieben. Den habe er nämlich vor dem Krieg (etwa 1912!) bei der Erstaufführung gehört und habe noch heute den Klang im Ohr; insbesondere von einem Stück, wo von roten Steinen »Rote fürstlich Rubine« die Rede war. Und er habe damals gehört, daß die Musiker gar nichts mit dem Stück anzufangen wußten, und heute sei so etwas doch schon ganz leicht verständlich!

Es kommt mir vor: meinen Glauben an die Halbwisser, an die Sachverständigen werde ich nicht aufgeben müssen; werde weiter von ihnen denken dürfen, daß ihnen jedes Ahnungsvermögen fehlt.

Aber ob ich dem Publikum wirklich gar so unangenehm bin, wie die Sachverständigen immer vorgeben, und ob es sich vor meiner Musik wirklich so sehr fürchtet, scheint mir manchmal recht zweifelhaft.



Quelle: Arnold Schönberg, „Mein Publikum“, Der Querschnitt 10, Band 4 (April 1930), S. 222-24.

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