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Rudolf Kayser, „Amerikanismus” (1925)

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Damit tritt der Amerikanismus als stärkster Gegner jeder Romantik auf, die ja die Diesseitigkeit zu fliehen sucht. Er ist der natürliche Feind aller Abkehr von der Gegenwart: sei es durch rückwärtsschauende Geschichtsbetrachtung, sei es durch Mystik, sei es durch Intellektualismus. Der Amerikanismus ist sehr nordisch, klar, sicher, erfüllt von Seewind. Er hat ein starkes und direktes Verhältnis, — nicht nur zur Exaktheit von Maschine, Organisation, Wirtschaft, sondern auch zur Natur, die er nicht als Symbol subjektiver Gefühle, oder als Rousseauisches Idyll erlebt, sondern als mächtigste und blühendste Wirklichkeit, der der Mensch nicht gegenüber steht, sondern in und mit der er lebt. In den Büchern von Knut Hamsun wirkt wohl am stärksten dieses neue Natur-Erlebnis, wie überhaupt das Skandinavische — man denke auch an Johannes V. Jensen — dem Amerikanismus nahe ist (was ebenfalls Robert Müller bereits betonte). Er ist aber auch preußisch in seiner nüchternen technischen Methode und greift ins Romanische hinab, soweit die Formklarheit und der Rationalismus des Lateiners in Frage kommen. Nichts aber ist dem Amerikanismus ferner und vergangener als der alte russische Osten, seine Müdigkeit und Passivität. Der Amerikanismus haßt unfruchtbare Leidenschaften, die nicht mehr auslotbaren Abgründe der Seele und eine dumpfe, stumpfe Religiosität. Die einzige menschliche Bewährung liegt ihm in der Welt der Wirklichkeit. Wenn Mattel [sic] Proust erklärte: „Toute action de l’esprit est aisée, s‘il n’est pas soumise au réel” — so ist diese Bemerkung dem Amerikanismus sehr verständlich (übrigens auch im Sinne der amerikanischen Philosophie des Pragmatismus). Aber auch wenn Paul Valéry die Architektur zu seinem Ideal erhebt — nicht im Sinne der klassischen Formgesetze, sondern aus dem Erlebnis des Bauens und der statischen Kräfte — so liegt, trotz aller Formstrenge und Musikalität des Dichters, auch hierin eine Anerkennung der Wirklichkeit. Aber vielleicht läßt sich über die Nähe dieser beiden Franzosen zum Amerikanismus streiten. Deutlicher werden seine literarischen Wege bei Dichtern, die bewußt sich von der Tradition abkehren und aus dem radikalen Erlebnis jüngster Gegenwart eine neue Welt in neuer Form schaffen wollen: etwa bei den Epikern Alfred Döblin und Ilja Ehrenberg. Ihre Romane sind getragen vom Erlebnis des Kollektivismus, sind von Lebendigkeit berstende Visionen, sind monumentale Legenden der Gegenwart. Elektrische Zentren zucken auf und senden ihre Kräfteströme durch die mechanisierte Welt. In der jüngsten Pariser Literaturmode, dem „Surréalisme”, wird versucht, dieses neue Erlebnis der Realität — es steht fast im Gegensatz zum alten biologisch-romanischen Naturalismus — auf seine theoretische Formel zu bringen.

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