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Arthur Moeller van der Bruck, „Das Dritte Reich” (1923)

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Das ist ein Ausblick auf Zukunft, den die Deutschen des neunten November nicht in ihre parteipolitische Rechnung eingestellt haben. Erst die Vorgänge, die zum Ruhreinbruch führten, und die, welche sich daranschlossen, bewirkten eine Wandlung, nicht in den Parteien, aber in den Menschen. Erst jetzt wurde die Nation stutzig. Es gab Deutsche, die an dem Gleichmute irre wurden, mit dem sie bis dahin alle Schläge hingenommen hatten. Und es gab wieder Deutsche, die sich zur Wehr setzten. Deshalb hätte der Ruhrkampf eine Wende werden können. Er eröffnete noch einmal eine Aussicht auf Befreiung der betrogenen Nation. Er schien eine Erfüllungspolitik enden zu wollen, die mit dem Anscheine von Außenpolitik ganz Parteipolitik gewesen war. Er überantwortete uns wieder der eigenen Entschlußkraft. Und er gab uns den Willen zurück. Die alten Parteien freilich waren am wenigsten der Erregungen teilhaftig, die seit diesem Tage durch die aufgerüttelte Nation gingen. Immer ruht auf ihnen der Verdacht, daß sie abermals versagen könnten, wie sie stets versagt haben. Der Parlamentarismus ist zu einer Einrichtung des öffentlichen Lebens geworden, die als ihre besondere Aufgabe empfangen zu haben scheint, im Namen des Volkes alle politischen Forderungen und nationalen Leidenschaften nach Möglichkeit abzuschwächen. Und ihm trauen wir zu, daß er eine nächste Gelegenheit ergreifen und seine schlechtesten Hände zu einer Verständigung bieten könnte, die uns immer wieder um unsere Möglichkeiten betrügt.

Als die Revolution den Krieg überstürzte, als sie alle Hoffnungen begrub, und jeden Ausblick zu verschütten schien, da fragten wir uns nach dem Sinn der Begebenheiten. Und wir fanden ihn, mitten im Unsinn, in dem Gedanken an die Politisierung deutscher Nation, auf die es nunmehr, und nachträglich, ankommen werde.

[ . . . ]

Man nennt diesen Willen heute nicht konservativ. Man nennt ihn nationalistisch.

Aber er will die Erhaltung von allem, was in Deutschland erhaltenswert ist. Er will Deutschland um Deutschlands willen erhalten. Und er weiß, was er will.

Der Nationalismus sagt nicht, wie der Patriotismus dies tut, daß das Deutsche erhaltenswert sei, weil es deutsch ist. Die Nation ist für den Nationalisten kein Selbstzweck, der von der Vergangenheit her klar und sichtbar und bereits erfüllt vor uns liegt.

Der Nationalismus ist durchaus auf die Zukunft der Nation gerichtet. Er ist konservativ, weil er weiß, daß es keine Zukunft ohne Wurzelung in der Vergangenheit gibt. Und er ist politisch, weil er weiß, daß er der Vergangenheit wie der Zukunft nur sicher sein kann, wofern er die Nation in der Gegenwart sichert.

Aber geistig ist er über diese Gegenwart hinaus gerichtet. Wenn wir die deutsche Geschichte nur auf die Vergangenheit hin ansehen würden, dann läge die Vorstellung sogar sehr nahe, daß sie nunmehr abgeschlossen ist. Es steht nirgendwo geschrieben, daß ein Volk ein ewiges Lebensrecht hat, auf das es sich um einer elenden Gegenwart willen berufen kann, an der es noch seinen Teil haben möchte. Für alle Völker kommt die Stunde, in der sie durch Mord oder Selbstmord sterben, und kein großartigeres Ende ließe sich für ein großes Volk denken, als der Untergang in einem Weltkriege, der die ganze Erde aufbieten mußte, um ein einziges Land zu bewältigen.

Der Nationalismus versteht die Nationen aus ihren Bestimmungen. Er versteht sie aus den Gegensätzen der Völker und gibt einem jeden Volke seine eigentümliche Sendung. Der deutsche Nationalismus ist auf seine Weise ein Ausdruck des deutschen Universalismus und durchaus auf das europäische Ganze gerichtet, aber nicht, wie der mittlere Goethe sich ausdrückte, um ins „Allgemeine zu verschweben“, sondern um die Nation als ein Besonderes zu behaupten. Er ist Ausdruck eines deutschen Selbsterhaltungswillens und eher von dem Erlebnis durchdrungen, das der alte Goethe bekannt hat, als er davon sprach, daß Kunst und Wissenschaft doch nur „ein leidiger Trost“ seien und „das stolze Bewußtsein“ nicht zu ersetzen vermöchten, „einem starken, geachteten und gefürchteten Volke anzugehören“. Der romanische Nationalismus denkt nur an sich selbst. Der deutsche Nationalismus denkt in Zusammenhängen. Er denkt in Schwerpunktverschiebungen der Geschichte. Er will das Deutsche nicht erhalten, weil es deutsch ist, was sehr leicht bedeuten könnte, wie wir sahen, ein Gewesenes erhalten zu wollen. Er will das Deutsche vielmehr im Werdenden, im um uns Entstehenden, in den revolutionären Umschichtungsvorgängen des heraufsteigenden Zeitalters erhalten. Er will Deutschland erhalten, weil es Mitte ist, weil nur von ihr aus Europa sich im Gleichgewicht halten läßt — und von hier aus, nicht vom Westen aus, wohin Pannwitz rückschauend die schöpferische Mitte unseres Erdteiles verlegte, und nicht vom Osten aus, dem Spengler vorgreifend die Erbschaft gab. Er will das Deutschtum erhalten, nicht um es aufzugeben, wie die Schwächlinge von der zwischenstaatlichen Partei empfehlen, die Entartungserscheinungen am Rande der Rasse sind: nicht um es gegen die „übernationale Bildung“ einzutauschen, von der Fr. W. Foerster, in dem sich die Entartung des deutschen Idealismus vollzog, die vertrauensselige Erwartung eines geschwächten Gehirnes hat, daß sie aus „dem Lande der europäischen Mitte“ „wieder ein Zentrum der Menschlichkeit“ machen werde, die der Abtrünnige immer noch bei den Franzosen aufgehoben sieht — sondern um der Nation das Bewußtsein zu geben, daß sie von diesem Deutschen aus noch eine Aufgabe hat, die ihr kein anderes Volk abnehmen kann. [ . . . ]



Quelle: Arthur Moeller van der Bruck, Das Dritte Reich. Berlin: Der Ring, 1923, S. ii-iv, 245-46.

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