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George L. Mosse über seine Berliner Kindheit in den letzten Jahren der Weimarer Republik (Rückblick 2000)

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Was unseren Familiensitz in Schenkendorf betraf, so fand ich ihn eigentlich nie besonders reizvoll, trotz des riesengroßen Empfangssaals, der das Zentrum des Gebäudes bildete. Er war zwei Stockwerke hoch und hatte oben eine umlaufende Galerie, die zu etwa acht Gästezimmern Zugang bot. Mein Vater hatte in jedes dieser Zimmer ein Bad einbauen lassen, ein Luxus, der zu jener Zeit seinesgleichen suchte. Im Erdgeschoss befanden sich zwei repräsentative Wohnzimmer (der rote und der grüne Salon), der Speisesaal, die Gemächer meiner Mutter und, direkt vom großen Empfangssaal aus zugänglich, ein Wintergarten, durch den man auf die große Terrasse gelangte, von der aus man eine weite Rasenfläche mit einem kleinen See am Ende überblickte.

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Die Dienstboten bildeten einen notwendigen und integralen Bestandteil unseres opulenten Lebensstils. Das Haus in Berlin hielten, ebenso wie das in Schenkendorf, fünf oder sechs Bedienstete am Laufen: Köchin und Butler, das persönliche Hausmädchen meiner Mutter, mehrere Zimmermädchen und eine Küchenmagd. In unserer Familie ist die Geschichte überliefert, dass mein Vater im Treppenhaus unseres Berliner Hauses einmal eine Frau antraf, die er vorher nie gesehen hatte. Auf seine verwunderte Frage, wer sie sei und was sie da zu suchen habe, erklärte sie, sie sei die Küchenmagd. Zu mindestens einigen der Dienstboten müssen wir eine sehr enge persönliche Beziehung gehabt haben. Jedenfalls war das Verhältnis alles andere als feindselig, wie es nach der Theorie vom Klassengegensatz hätte sein müssen. Dass uns ein Teil unseres Hausrats erhalten blieb, verdankten wir ausschließlich der Initiative treuer Dienstboten, die buchstäblich unter den Augen der Polizei, die nach unserer Flucht ins Exil unsere Häuser konfiszierte, Wertsachen in Sicherheit brachten, darunter Gobelins und einen Teil der Möbel. Einige dieser Besitztümer folgten uns um die halbe Welt und tauchten am Ende sogar in Kalifornien auf, nachdem mein Vater sich mit meiner Stiefmutter dort niedergelassen hatte. Dabei kam es in den ersten Exiljahren oft vor, dass sich zum Erfreulichen das Bizarre gesellte: Die uns treu ergebene Haushälterin aus der Maaßenstraße hatte zusammen mit den Medici-Gobelins und den Empire-Sesseln einen ganzen Koffer voller Klistiere des großen, altmodischen Typs eingepackt. Vielleicht fürchtete sie die Auswirkungen des seltsamen amerikanischen Essens auf unsere Gesundheit.



Quelle der deutschen Übersetzung: George L. Mosse, Aus Großem Hause: Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Historikers. Aus dem Amerikanischen von Karl-Heinz Siber. Mit einem Nachwort von Elisabeth Kraus. München: Ullstein Verlag, 2003, S. 15-28.

Quelle des englischen Originals: George L. Mosse, Confronting History: A Memoir. With a Foreword by Walter Laqueur. Madison: University of Wisconsin Press, 2000, S. 7-16.

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