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Rolf Wagenführ über den Inflationsboom (1932)

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Von besonderem Nachteil für die Produktion war es, daß nun auch das „erzwungene Sparen“ ständig an Bedeutung verlor. In den Jahren 1920 und 1921 war es möglich gewesen, die industrielle Warenerzeugung durch die Wirkungen der Einkommensverschiebungen immer von neuem zu finanzieren. In dem Maß aber, wie alle Kostenelemente der Geldentwertung angepasst wurden (Übergang zur Goldrechnung), verlor die Inflation ihre stimulierende Wirkung auf die Gütererzeugung. Der Stimulus ging vor allem verloren, als auch die Arbeiterschaft die Anpassung der Lohnentwicklung an das Fortschreiten der Geldentwertung durchsetzte. „Von diesem Zeitpunkt ab war niemand mehr da, auf den die Last der Inflation, d. h. der durch sie verursachte Substanzverlust abgewälzt werden konnte“.

Seit Herbst 1922 begann die Arbeitslosigkeit der Industriearbeiter wieder zu steigen, nachdem sie bis zu diesem Zeitpunkt ständig zurückgegangen war. Auch die Kurzarbeit nahm beträchtlich zu.

Im Zusammenhang mit der Erhöhung der Produktionskosten ging der Kostenvorsprung gegenüber dem Ausland langsam aber sicher verloren.

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Bis zum Herbst 1922 war die Ausfuhr, verglichen mit den entsprechenden Zeiträumen der Vorjahre, ständig gestiegen. Seit August 1922 aber setzte ein Schrumpfungsprozeß ein; im Sommer 1923 erreichte sie nur wenig mehr als ein Drittel des vorangegangenen Höchststands.

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Angesichts der allgemeinen Rückbildung – die sich aus dem Verlauf der Inflation zwangsläufig ergab – mussten die Folgen des Ruhreinbruchs verheerend sein. Eines der am höchsten industrialisierten Wirtschaftsgebiete wurde aus dem Gesamtgefüge der Volkswirtschaft herausgelöst; der Austausch zwischen den einzelnen Bezirken geriet völlig ins Stocken. Ein Teil der Ruhrindustrie wurde stillgelegt, so daß die Versorgung des unbesetzten Deutschland mit wichtigen industriellen Grundstoffen (Kohle, Eisen, chemische Erzeugnisse) gefährdet wurde; umgekehrt entstanden für die sonst im Ruhrgebiet abgesetzten Waren (Baustoffe, Holz, Verbrauchsgüter und landwirtschaftliche Produkte) entsprechende Absatzschwierigkeiten.

Im ganzen wurde das Produktionsvolumen von 1922 auf 1923 um rund ein Drittel vermindert und auf einen Stand zurückgeworfen, der unter dem Niveau von 1920 lag. Besonders scharf wurden die Produktionsgüterindustrien betroffen; hier betrug der Rückgang teilweise bis 50 v. H. Die Verbrauchsgütererzeugung schrumpfte gleichzeitig um 27 v. H. Die „Inflationskonjunktur“ war in eine Krisis umgeschlagen.

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Quelle: Rolf Wagenführ, „Die Industriewirtschaft: Entwicklungstendenzen der deutschen und internationalen Industrieproduktion 1860-1932“, Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, Sonderausgabe 31. Berlin: Rainer Hobbing Verlag (1932), S. 25-27.

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