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Betty Scholem zur Inflation (Oktober 1923)

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Berlin, 23. Oktober 1923

Mein liebes Kind!

Über Deinen Brief vom 9. empfinden wir die größte Freude und haben nun wirklich keinerlei Sorge mehr, daß Du Dich durchsetzen u. Dir Stellung u. eigene Befriedigung erringen wirst. Welch ein Glücksfall ohne Gleichen, wenn Du in dem, was Dir Inhalt u. Ziel Deines Lebens bedeutet, auch zugleich den Unterhalt Deines Lebens findest, also beglückwünschen wir Dich herzlich! Auch ist der Umgang mit Büchern wahrlich dem mit Menschen weit vorzuziehen, meistens geben sie doch vernünftige Antworten, wenn man sie fragt, was von den Menschen nicht zu behaupten ist. [ . . . ]

Nun, zum Glück sind wir auch Gelddrucker. Wir beschäftigen wieder 130 Personen. Das bischen Kundschaft, das außer der Notenquetsche die riesigen Phantasiepreise bezahlen kann, erfordert keine große Arbeitsleistung. Dagegen besteht die Arbeit der Jungen Tag u. Nacht in geldlichen Transaktionen, sie sind viel mehr Bankiers als Buchdrucker, sie müssen aufpassen wie die Luchse, um richtig zu disponiren, damit die Billionen Papiermark, um die es sich jetzt handelt, nicht hinschwinden, als seien sie nie gewesen. Du kannst es Dir nicht denken! Der Dollar sprang in 3 Tagen so: 10 Milliarden, 18½, 40 Milliarden. Das Brot 900 Millionen, 2½ Milliarde, 5½ Milliarde. Der Zusammenbruch ist vollkommen. Es flackern da u. dort Plünderungen auf, aber viel ist es nicht, die verzweifelten Frauen sind viel zu mürbe, sie lassen sich Alles gefallen. Von Unruhen ist bisher nichts zu merken, obwohl man sie seit Wochen stündlich erwartet. [ . . . ]

Kuß Mutt



Quelle: Betty Scholem & Gershom Scholem, Mutter und Sohn im Briefwechsel 1917-1946. München: Verlag C.H. Beck, 1989, S. 84-89.

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