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Arnold Brecht zur Deflationspolitik Heinrich Brünings (Rückblick 1967)

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In dieser Beziehung sah ich hauptsächlich zwei Wege, die ich schon früher erwähnt habe, nämlich erstens die „Streckung“ der vorhandenen Arbeit durch vorübergehende, zwangsweise, radikale Verkürzung der Arbeitszeit und zweitens die Vergebung öffentlicher Arbeiten in größtem Stil, wobei die Kosten in erster Linie von den durch Einsparung der Arbeitslosenunterstützungen freiwerdenden Milliardenbeträge (siehe oben), im übrigen durch Anleihen, notfalls Zwangsanleihen, aufgebracht werden sollten. Ich war, wie in Kapitel 4 berichtet, durch meine Vergleiche der öffentlichen Ausgaben der Hauptländer zu dem Ergebnis gekommen, daß Deutschland infolge der radikalen Streichung seiner inneren Schuldenlast nicht etwa zu hohe, sondern ungerechtfertigt geringe innere Schulden hatte, und daß es finanzpolitisch ganz unbedenklich war, diese Schulden durch die Vergebung öffentlicher Arbeiten zur Unterbringung von Arbeitslosen um Milliarden von Mark zu erhöhen.

Ein amtliches Schreiben dieses Inhalts sandte Ministerpräsident Braun im April 1932 an Brüning. Zusammen mit Staatssekretär Staudinger (Handelsministerium) und dem Sachverständigen des Innenministeriums für Kommunalsachen, Ministerialdirektor v. Leyden, hatte ich es entworfen. Es ist im Anhang auszugsweise abgedruckt.

Die Sache war zweifellos nicht einfach. Es ist zwar heute eine weithin anerkannte Theorie, die z.B. in der New-Deal-Epoche der Vereinigten Staaten unter Roosevelt von 1933 an zu weit sichtbaren Erfolgen geführt hat, daß die Regierung in einer Periode wirtschaftlicher Depression zur Aufsaugung von Arbeitslosen geeignete öffentliche Arbeiten ohne inflationistische Wirkung mit Anleihen finanzieren kann, auch wenn solche Unternehmungen nicht die Selbstkosten hereinbringen. Aber eine wissenschaftlich gefestigte Theorie dieses Inhalts gab es im Jahre 1930 noch nicht. Damals befürchtete man noch allgemein, daß solche Staatsaufträge auf Borg, falls man sie nicht auf sich selbst tragende Unternehmen beschränkte, zur Inflation führen müßten. In Deutschland, wo jeder die Schrecken der hemmungslosen Inflation von 1920–1924 noch in den Gliedern spürte, war diese Furcht besonders stark.

Auch war die Aufnahme langfristiger Staatskredite in Deutschland nicht so einfach wie in den Vereinigten Staaten. Es erwies sich oft als unmöglich, selbst kleine Reichsanleihen für einwandfreie Zwecke auf dem offenen Markt unterzubringen. Mehrere hundert Millionen, oder sogar eine oder mehrere Milliarden Reichsmark für nicht rentable Projekte zu beschaffen, hätte den Druck zusätzlichen Papiergeldes oder bisher noch unerprobte Finanzierungsmethoden erfordert.



Quelle: Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes: Lebenserinnerungen 1927-1967. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1967, S. 134-36.

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